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Ich bin eine Nomadin

Ich bin eine Nomadin

Titel: Ich bin eine Nomadin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayaan Hirsi Ali
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Weitsicht haben werden, mir bei der Verwirklichung dieses Traums zu helfen.

Kapitel sechzehn
GOTT GESUCHT, ALLAH GEFUNDEN
    An einem Abend im Juni 2007 traf ich mich in Rom zum Abendessen mit Pater Antoine Bodar, einem holländischen Priester, den mir ein gemeinsamer Freund empfohlen hatte. Ich empfand ihn als sehr anregend – ein sanftmütiger, gebildeter und auch sehr weltlicher Mann. Das Restaurant, das er ausgesucht hatte, lag unmittelbar hinter dem Vatikan, und während wir am Wein nippten, merkte ich, dass ich den Abend richtig genoss. Die Sonne ging unter, die Renaissancefassaden wurden angestrahlt und wirkten so auf fast surreale Weise majestätisch und schön. Außerdem war ich fasziniert von dem Gedanken, dass wir an einem sehr machtvollen Ort saßen: gewissermaßen dem Mekka der Christenheit.
    Und doch, dachte ich bei mir, wie tief sind die Mächtigen gefallen – oder eigentlich nicht gefallen, sondern verblasst. Während der Islam in ganz Europa auf dem Vormarsch ist, scheint das Christentum auf dem Rückzug. Kirchen bleiben leer, werden in Appartements und Büros, sogar Nachtclubs umgewandelt oder abgerissen, gleichzeitig schießen Moscheen aus dem Boden. Die prächtigen Kathedralen Frankreichs sind verlassen, und manche Stimmen haben sogar vorgeschlagen, leer stehende Kapellen und Kirchen zu Moscheen umzuwandeln, um den wachsenden muslimischen Gemeinden in Frankreich Raum zum Beten zu geben. Darüber hinaus wäre das eine Möglichkeit, den Islam aus den schlecht zu überwachenden Garagen und Kellergeschossen herauszuholen, wo junge Menschen in einem rasenden Tempo radikalisiert werden.
    Beim Kaffee versuchte ich mir vorzustellen, wie es wäre, in Mekka gemeinsam mit einem Ulema, einem islamischen Religionsgelehrten, oder an einem beliebigen Ort mit einem Imam zu speisen. Das kam mir wie eine weitere Demonstration grundlegender Unterschiede vor: Islam und Christentum sind eben nicht das Gleiche.

    Ich erklärte Pater Bodar, warum ich ihn gebeten hatte, sich mit mir zu treffen.
    »Ich bin keine Christin, und ich bin nicht hier, um Sie zu bitten, mir beim Übertritt zu helfen und Christin zu werden«, sagte ich. »Aber ich denke, die christlichen Kirchen sollten dawa betreiben, sollten missionieren, genau wie der Islam. Sie müssen in einen Wettstreit treten, weil die Kirchen ein mächtiges Instrument sein können, um die Islamisierung zurückzudrängen. Sie sollten bei muslimischen Vierteln in Rom anfangen. Europa schlafwandelt derzeit in eine Katastrophe, eine kulturelle, ideologische und politische Katastrophe, weil die kirchlichen Einrichtungen die Einwanderergettos vernachlässigt haben. Die Kirchen könnten direkt in muslimische Gemeinden gehen und, genau wie die radikalen Muslime, ihre Dienste anbieten: neue katholische Kirchen, Krankenhäuser und Gemeinschaftszentren bauen wie jene, von denen während der Kolonialherrschaft in Afrika eine so starke zivilisierende Kraft ausging. Überlassen Sie das nicht allein den Regierungen, werden Sie selbst aktiv. Die Kirchen verfügen über die Ressourcen, die Autorität und die Motivation, muslimische Einwanderer zu einer moderneren Lebensweise und moderneren Überzeugungen zu bekehren. Bringen Sie ihnen Hygiene bei, Disziplin, Arbeitsmoral und das, woran Sie glauben. Der Westen ist auf dem besten Weg, den Propagandakrieg zu verlieren. Aber Sie können außerhalb von Europa mit dem Islam konkurrieren und innerhalb Europas tatkräftig die Muslime assimilieren.«
    Pater Bodar strahlte geradezu vor Glück. Er erklärte, genau dies versuche er seit Jahren und sei schon häufig für den Vorschlag verspottet worden. Die katholische Kirche hat eine lange Geschichte des Widerstands gegen religiöse Herausforderungen, sowohl interne wie auch externe. Alle Arten von Häresien wurden seit frühester Zeit erfolgreich bekämpft. Im Zuge der Gegenreformation behauptete sie sich energisch gegen die Lehren Martin Luthers und anderer protestantischer Reformer. Und natürlich hat die Kirche den Islam nicht nur zur Zeit der Kreuzzüge bekämpft, sondern auch noch 1683, als muslimische Truppen des osmanischen Sultans die Hauptstadt des Kaisers des Heiligen Römischen Reiches bedrohten: Wien.
    Aber was ist mit der Herausforderung, vor der die christliche Zivilisation heute steht – der Herausforderung durch den radikalen Islam, der bereits in die angebliche »Festung« Europa Einzug gehalten hat?

    Vertreter des Islam behaupten, er sei die derzeit am schnellsten wachsende

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