Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition)
and sisters are all abord, Hallelujah
Michael row the boat ashore, Hallelujah.
Und ihr Gesang war so nah und so real, dass es mir vorkam, als säße sie direkt neben mir, und als ich aufsah, saß sie wirklich dort. An jedem anderen Tag hätte es mich überrascht, sie hier zu sehen, aber heute wunderte mich nichts mehr. Sie hockte unter derselben Brücke wie ich, in einem Nest aus Tüten und Müll. Sie sah mich an und sang, und dabei lächelte sie mit ihren kaputten Zähnen.
Dann stand sie auf und kam zu mir. »Du bist extra gekommen, um mich zu besuchen?«, fragte sie.
Ich war zu müde, um aufzustehen, aber ich hob ganz leicht den Kopf. Ich freute mich so, sie zu sehen, dass mir Tränen aus den Augen rollten.
Als sie das Menschenjunge neben mir sah, schüttelte sie den Kopf. »Oh Tiger«, sagte sie, »oh Tiger, schäm dich.« Sie beugte sich hinab und strich ihm über den Kopf. »Ming, der Schreckliche!«, jauchzte sie und kicherte in sich hinein, und dieses Kichern war das Seltsamste und Süßeste, was ich je gehört hatte.
Ich schloss die Augen und sah den rot-grünen Miniaturwald im Zoo vor mir, und überall waren Tiger wie ich. Saskia und Maharaj waren auch da, ich hatte ihnen verziehen und tollte mit ihnen herum. Nicht weit entfernt stand die lockige Mutter des Babymenschen, und sie war auch meine Mutter – sie war es die ganze Zeit gewesen. Im Traum hatte ich selbst Kinder, Tigerbabys, kleine verspielte Junge, so klein, wie ich einmal gewesen war, so klein wie das Menschenbaby, das ich getötet hatte. Die Tigerbabys purzelten übereinander, tollpatschig und zuckersüß. Ich versuchte sie abzulecken und mit ihnen zu spielen, aber meine Zunge und meine Pranken waren zu rau und zu kräftig, die kleinste Berührung hätte den Babys geschadet, also hörte ich auf, sah ihnen einfach nur zu und hielt Wache.
Jenseits des Grabens standen Kitch und eine große Horde anderer Menschen, die uns beobachteten und bewunderten, und dann kletterten sie einer nach dem anderen über die Mauer und wateten durch den Graben, denn sie wollten unbedingt zu uns kommen. Bald stiegen Heerscharen von Menschen ins Tigergehege und rannten meinen Hügel hinauf. Es waren so viele, dass ich meine zarten Babys nicht vor ihren schweren Füßen in Sicherheit bringen konnte. Sie stapften über meine Jungen hinweg und zertrampelten sie in ihrem blinden Rausch, und der komische alte Mann mit der dicken Brille und den Gummihandschuhen sammelte sie ein und warf sie in einen Plastiksack, während ich völlig außer mir war. Aber dann kam Kitch. Er blieb stehen, tätschelte mir den Kopf und kraulte mich hinter dem Ohr. Alles ist gut, sagte er. Die Tigerbabys seien nicht mehr da, aber das sei in Ordnung, und er selbst sei auch nicht mehr da, und auch das sei in Ordnung. Und während er mich streichelte, spürte ich, wie er allmählich meinen Kopf zerquetschte. Seine Finger steckten tief in meinem Gehirn, und er massierte es zu einem weichen Brei, was sich irgendwie gut anfühlte, mir aber auch Angst machte, denn ich wusste, ich würde bald in Vergessenheit geraten.
Als ich aufwachte, war es schon dunkel. Ein schmerzender Hunger zerrte an meinen Rippen. Das Dröhnen am Himmel war jetzt eher ein Knattern; es kam näher und ich wusste, dass ich bald aufstehen und mich in Bewegung setzen musste, wenn ich den Gewehren entkommen wollte. Aber in dem Moment beunruhigte mich dieser Gedanke nicht. Ich hatte wieder jenes Gefühl vom Morgen, als mir gerade klar geworden war, dass ich Kitch liebte, und die Welt für einen Augenblick einen wunderbaren Sinn ergeben hatte.
Alles wirkte wieder so klar, all das Schreckliche schien auf einmal so sinnvoll, alles war gut und leuchtete mir ein. Ich blickte an mir hinab und sah, dass die Row-your-boat-Frau auf mir eingeschlafen war. Sie lag da ganz friedlich zusammengerollt und hatte den Kopf an meine Hüften geschmiegt, und ich dachte, was ist sie doch für eine wunderbare Frau. Ich liebe dich, Row-your-boat-Frau, und dann riss ich das Maul weit auf, schlug die Zähne in ihren weichen Bauch und riss ihr die Eingeweide heraus.
Sie schnappte nur einmal nach Luft, ohne dabei die Augen zu öffnen – scharf und plötzlich, als hätte sie gerade eine wunderbare Überraschung erlebt. Und das war es, sie atmete nicht einmal mehr aus.
Es fühlte sich so gut an, sie einfach so zu töten, so richtig. Es berührte mich. Ich tat es nicht im Zorn oder aus Hunger, und es war auch kein Akt der Gedankenlosigkeit wie bei dem armen
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