Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition)
ich sie und rang mir noch einmal ein Lächeln ab.
»Herr Thoren, welch eine Freude, Sie endlich einmal kennenzulernen. Nippima spricht oft von Ihnen. Ich heiße Alessandro Peng.«
»Ah, ja«, erwiderte ich und tat so, als sagte mir der Name etwas. Als er seine Sonnenbrille abnahm, sah ich die leuchtend weiße Haut rund um seine eierförmigen Augen, wo die Gläser die intensive Strahlung der Sonnen abgehalten hatten. »Wie schön, Sie kennenzulernen.«
Er zeigte mir eine Reihe breiter weißer Zähne, die von rosa-braunem Mundfleisch gesäumt waren. Ebenso wie das Bild meiner Tochter vor einigen Augenblicken in sich zusammengefallen war, war mir dieser junge Mensch von Nahem auf irgendeine Art zuwider.
Ach, die kleinen Alessandros unseres Planeten, dachte ich mir, mit ihren seltsamen Augen, ihrer teigigen Haut und ihren platten Gesichtszügen – ausgewachsen, aber unförmig wie Maden und anziehend auf diese seltsame Weise, die leichtes Unwohlsein erzeugt. Die Alessandros mit ihrer Haut wie Sahne, Schlamm und Ocker, die während der Touristensaison in lärmenden Horden umherzogen, einander auf die Schultern klopften und lauthals lachten, die hinter ballonbrüstigen Jennifers und Sangeethas herliefen, einander in ihrem breiten Akzent etwas zubrüllten, ihre Schutzanzüge auszogen und sich am Flussufer braten ließen wie Dschungelwiesel auf dem Grill. Die in Taxis betrunken aufeinandersackten, jenen Taxis, die nach Einbruch der Dunkelheit durch unsere Stadt schwirren – allein für sie, für diese kleinen Alessandros. Meine Tochter ist in einen Alessandro verliebt.
Ich hatte kaum Gelegenheit zu fragen, »Möchten Sie sich setzen?«, da sah der Junge schon um Erlaubnis bittend zu Nippima hinüber, aber mein armes Kind blickte nur starr auf seine Füße und wäre am liebsten im Erdboden versunken. Alessandro nahm also ohne Umschweife Platz, und Nippima tat es ihm gleich. Was für sorglose und unbekümmerte Kreaturen diese Fremden doch sind!
»Und Sie, machen Sie hier mit Ihren Freunden Frühjahrsurlaub?«, fragte ich ihn.
»Nein, nein. Ich bin allein hier, mit einem Forschungsstipendium. Ich studiere Insektenkunde.«
»Toll.«
»Zu Hause habe ich eine Arbeit über das Verdauungssystem von Raubwespen im Larvenstadium geschrieben. Und hier leite ich ein Forschungsprojekt an der Höheren Akademie über die chemischen Botenstoffe, die die verbale Kommunikation unter den Wesen ergänzen, und wie sie sich mit denen der Erdinsekten vergleichen lassen.«
»Der Erd insekten. Ich hoffe doch, wir schneiden bei dem Vergleich gut ab!«
»Doch, auf jeden Fall. In mancher Hinsicht. Mich interessiert der Schnittpunkt zwischen entomologischer Verhaltenslehre, Biochemie und Linguistik.«
»Mein lieber Mann.«
Ich war erleichtert, dass der Junge wenigstens von sich aus redete wie ein Wasserfall und ich meine steifen Konversationskünste nicht unter Beweis stellen musste. Fremde machen mich oft nervös.
»Aber ich klettere gern. Ich habe Nippima kennengelernt, als ich an meinem freien Tag an der Schlucht unterwegs war. Stimmt’s, Nip?« Wieder lächelte er mein armes Kind auf seine beängstigende menschliche Art an. »Unterwegs war. Ha. Ich hing hilflos an einem Seil, da ist sie neben mir an der Felswand gelandet.«
Während er so redete, stellte ich zu meinem Erstaunen fest, dass ich seine lebhafte Art und seine Ungezwungenheit irgendwie liebenswert fand. Trotz seiner Erdlings-Gedankenlosigkeit hatte dieser Alessandro irgendetwas Besonderes an sich; er war ernsthaft und begeisterungsfähig und besaß eine Art unbedarften Charme. Vielleicht war mein Misstrauen ihm gegenüber nur ein schützender Anflug von Fremdenfeindlichkeit gewesen. Ich muss schon sagen, dass er ein recht gut aussehender Fremder war, größer als die meisten anderen, mit welligem kupferroten Haar und einer Kette aus braunen Flusssteinen um den geröteten Hals. Ich empfand Erstaunen und auch eine Spur von Stolz, dass es meiner Tochter gelungen war, sich mit einem so fröhlichen, gut aussehenden Menschen anzufreunden.
»Nun, wie wunderbar.«
Er nahm Nippimas Fühler und hielt ihn, direkt vor meinen Augen – welches Männchen von hier besäße diese Kühnheit? Und als ich das elegante Glied meines Kindes im Griff seiner fünfzackigen Pranke sah, kam in mir ein vage beschämendes Gefühl auf – Erleichterung. Ein Mensch: War er derjenige, der Nippima beschützen würde, wenn sie eines Tages meinen sicheren Bau verließ, der sie mit Rohstoffen überhäufen
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