Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition)

Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition)

Titel: Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rajesh Parameswaran
Vom Netzwerk:
einen Stuhl für mich zurück. Einen Stuhl! Ich sah mich kurz um – die anderen zwei, drei Wesen von hier saßen ebenfalls wie Erdlinge auf Stühlen – und ließ mich dann ungeschickt auf die kantige Holzkonstruktion zurücksinken.
    Von dem Balkon aus blickte ich hinaus auf den breiten, glasigen Fluss: Die Sonnen standen im Zenit und brannten heiß herab. Eine Handvoll Schwimmer trotzten der Hitze, auch wenn manche nur kurz ins Wasser sprangen, und am Ufer war es ruhig. Ich trank meinen Nektar und schlug das Buch auf, das ich mitgebracht hatte – ich studiere die Klassiker der menschlich-englischen Literatur: Conrad, Amy Tan, die Bibel. Als ich von meiner Lektüre aufblickte, fiel mir am Eingang ein junges Paar ins Auge; er ein junger, breitschultriger Fremdlingsmann in einer Hose und einem Hemd aus Stoff und mit einer Sonnenbrille. Er hatte sich nicht die Mühe gemacht, einen Helm aufzusetzen oder einen Overall anzuziehen, was bedeuten konnte, dass er schon lange genug hier war, um resistent zu sein, oder vielleicht auch einfach nur von der kühnen Furchtlosigkeit der Jugend zeugte. Das weibliche Wesen an seiner Seite trug einen leichten, flatternden Rock. So schlecht sich Kleidung für unsere Körper auch eignet (ich komme mir reichlich albern vor in meiner sechsbeinigen Hose, die ich nur zu solchen Ausflügen in die Stadt trage) – beim Anblick dieser Unbekannten wurde mir für einen Moment klar, warum diese Kleidung so beliebt war. Voller Bewunderung sah ich, wie der weiße Rock das Rot-Orange-Blau ihres Leibes hervorhob, wie bezaubernd der weiche Stoff ihre vielen Glieder umspielte, wie er die Form ihrer langen Beine bedeckte und zugleich betonte. Ich bewunderte sie auf die Art und Weise, wie ein alterndes Wesen sich eben an einem Bild der fernen Jugend erfreut. Das junge Weibchen sah nicht in meine Richtung, sie schien sich angeregt mit dem Fremden zu unterhalten und lachte mit ihm, die beiden waren vollkommen unbekümmert.
    Warum hatte ich zu meiner Zeit nicht mit solchen Weibchen Nektar getrunken? Warum war ich nie wirklich locker? Warum hatte ich mich nicht schick angezogen und in teuren Erdlings-Hotels das Leben genossen? Das wäre damals praktisch undenkbar gewesen, und trotzdem bereute ich es jetzt. Stattdessen war ich brav in meinem Bau geblieben und hatte meiner Ka beim Leichenpräparieren geholfen, bis ich meine Partnerin kennenlernte, mein erstes und einziges Weibchen.
    Kurz darauf drehte sich das junge Wesen am Eingang zu drei Vierteln in meine Richtung, und mir wurde klar, dass ich begehrlich auf meine eigene Nippima starrte! Wie beunruhigend es doch ist, wenn man beginnt, sein Kind als Fremden zu sehen. Ich beobachtete das Paar eine Weile, jetzt mit dem Stolz und der Panik eines Kas, der sein geliebtes Kind so sieht wie alle anderen, als eines von vielen Wesen auf der Welt. Erfreut stellte ich fest, dass Nippima sich wie ein anständiges junges Wesen verhielt und sich inmitten der Erdlinge eindrucksvoll behauptete. Trotzdem fürchtete ich, sie könnte irgendeinen Fehler machen. Mir entging keine ihrer Bewegungen, fast so, als wäre ich selbst dort an ihrer Stelle und würde in ihrem Körper stecken. Nippima und der Erdling warteten darauf, platziert zu werden. Jetzt drehte sie sich in meine Richtung, und als sich unsere Blicke trafen, erlosch das fröhliche Lächeln auf ihrem Gesicht, ihre Fühler sanken zu Boden, und voller Bestürzung klappte ihr der Mund auf. Es ist kein schönes Gefühl, von seinem Kind so angesehen zu werden, wenn ich das einmal so sagen darf. Jedenfalls hob ich den Fühler, um sie zu begrüßen, aber sie schüttelte bloß den Kopf, um mich von allem Weiteren abzuhalten.
    Ich hatte mich geirrt: Sie war nicht charmant, selbstbewusst und gelöst. Nein, ihre Nerven lagen blank, und sie erhielt vor dem gut aussehenden Erdling bloß eine Maske von unangestrengter Würde aufrecht. Aber jetzt hatte sich der Mensch ebenfalls umgedreht und bemerkte den Blickwechsel zwischen meiner Tochter und mir. Sie tauschten ein paar geflüsterte Worte aus, dann öffnete sich auch sein Mund und verzog sich zu einem Lächeln. Nippimas Verhalten hatte sich unterdessen vollkommen gewandelt; sie konnte dem Jungen, mit dem sie bisher so unbefangen geredet hatte, nicht mehr in die Augen sehen.
    »Herr Thoren!«, rief der Mensch.
    Ich lächelte und nickte bescheiden. Er nahm Nippima beim Fühler und führte sie in meine Richtung. Ich erhob mich zur Begrüßung. Als die beiden vor mir standen, berührte

Weitere Kostenlose Bücher