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Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition)

Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition)

Titel: Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rajesh Parameswaran
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leichtgläubigen Jugendlichen findet, der sich an ihren Bauch schnallen lässt. Dann fliegt sie mit ihm über den Fluss hinaus, in den Dschungel und in die Purpurschlucht hinein, bis sie beide ziemlich atemlos sind. Diese »Kunden« bezahlen Nippima mit Folienstücken und geben ihr später in der Anlage ein billiges Essen und irgendeinen Nektar aus. Über all das spricht sie sehr ernsthaft, als wäre sie die große Geschäftsfrau des Planeten, und sie bunkert dicke Folienbündel für zukünftige Investitionen. Aber ich merke, dass all das nur ein Vorwand ist, um Männchen zu begegnen. Ich vermute, Nippima hat bereits irgendeinen Freund, von dem sie mir nichts erzählt – ist das nicht unvermeidlich? Und trotzdem gibt es keine Vorstellung, die mich tiefer beunruhigt.
    »Ich wäre dir heute wirklich sehr dankbar, wenn du mir helfen könntest, Nippima. Die arme Eth ist heute Morgen gestorben, sie wurde von einer Maschine erfasst. Weißt du noch? Ihr Sohn Orlip war im Jahr unter dir auf der Akademie.«
    Sie blieb in der Nähe des Einfluglochs stehen und überlegte.
    »Orlip hat dich immer bewundert. Du hast ihm Englisch-Nachhilfe gegeben, und er hat dich zu seiner Häutungsfeier eingeladen, aber du bist nicht hingegangen. Das weißt du noch, oder?«
    Sie richtete einen Fühler auf, was so viel hieß wie, ja. Ja, natürlich.
    »Dann weißt du ja vielleicht auch noch, wie riesig die Mutter des armen Jungen war. Mein Rücken plagt mich schon die ganze Zeit, und du hast viel mehr Kraft als ich. Ganz zu schweigen davon, dass die Leiche in einem schrecklichen Zustand ist; deine Fähigkeiten sind gefragt.«
    Sie schien zu erschaudern und wandte sich von mir ab, die Fühler eingeknickt, die Augen vibrierend vor Abscheu. Dann nahm sie ihre Sonnenbrille mit dem Halteriemen vom Boden und steckte sie in die Tasche ihres lächerlichen Erdlings-Minirocks, extra weit geschnitten für ihre sechs unteren Beine. Um die Knöchel trug sie bunte Fußkettchen, und ihr rechter Fühler wurde von einem verzierten Ring eingeschnürt.
    »Tut mir leid, Ka. Ich sag doch, ich kann nicht.«
    »Natürlich kannst du. Was hast du denn vor, willst du deine Zeit wieder in den Ferienanlagen vertrödeln?«
    Sie zuckte noch einmal mit den Fühlern und wandte sich zum Gehen.
    »Du faules Wesen. Bleib hier!« Ich konnte meinen Zorn nicht mehr bremsen und schlang den Fühler um eins ihrer Beine, aber sie befreite sich mit Leichtigkeit aus meinem Griff.
    »Herrgott noch mal, Ka!«
    Herrgott noch mal?
    Dann schlüpfte sie zum Einflugloch hinaus und schlug mit einem Krachen die Tür hinter sich zu. Sie schwirrte ab ins Grüne, und ich hörte nur noch ihre Flügel schlagen.
    Ich habe lange gebraucht, bis ich lernte, Nippima ein Ka zu sein, und ich fürchte, es war nicht ganz einfach für sie, von mir großgezogen zu werden. Als sie noch klein war, habe ich sie verwöhnt, und nun kämpfe ich um die richtige Mischung aus Zärtlichkeit und Strenge. Wir Wesen unterscheiden zwar nicht gern zwischen männlichen und weiblichen Elternteilen, aber manchmal wünschte ich mir für Nippima, meine Partnerin hätte überlebt, denn sie könnte unser Kind vielleicht auf eine Art verstehen, die mir verschlossen ist. Aber das Schicksal hat seinen Lauf genommen, und wir müssen das Beste daraus machen.
    Am späten Nachmittag kam Eths Sohn Orlip zu mir, um die Vorbereitungen zu besprechen. Nachdem er seinen massigen Körper durch mein Einflugloch gequetscht hatte, ergriff er meine Fühler und verbeugte sich schwerfällig.
    Ich habe festgestellt, dass mir Familienangehörige in Zeiten der Trauer mitunter mit übertriebenem Respekt begegnen, so als wäre ich ein Heiler oder ein Priester – und vielleicht bin ich auf gewisse Weise ein wenig von beidem. In jedem Fall bin ich ein unmittelbarer Zeuge ihres letzten Akts der Fürsorge für ein geliebtes Wesen, weshalb sie sich genötigt fühlen könnten, mich von ihrem Schmerz und von ihrer Rechtschaffenheit zu überzeugen.
    »Es tut mir sehr leid, Orlip. Was für ein tragischer Unfall.«
    Orlip ließ sich auf den Boden sacken und nickte mutlos, wobei ihm Salzwasser aus dem Saugrüssel tropfte. Ich erklärte ihm die verschiedenen Möglichkeiten für die Zeremonie. Als er nachfragte, informierte ich ihn über die Kosten. Er hörte die Zahlen und zuckte weder zusammen noch stellte er irgendwelche Fragen, stattdessen schien er einfach für einen Moment die Luft anzuhalten und ließ die Fühler zu Boden sinken.
    »Ich weiß, das klingt viel,

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