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Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition)

Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition)

Titel: Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rajesh Parameswaran
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Geduld sein, ehrwürdige Ania. Es werden noch viele solcher Bäume wachsen, und all unsere Sorgen werden ein Ende haben. Aber im Moment gibt es bloß den einen. Sucht ihn und esst Euch satt.

ANIA : Ausgeschlossen, Amuta, so etwas gibt es nicht. Dieser Baum ist eine Fata Morgana des Hungers. Du musst dich irren.

AMUTA : Das dachte ich ebenfalls, bis ich den Baum berührt und an seinen Früchten gerochen habe. War die Banane, die Ihr eben gegessen habt, etwa eine Fata Morgana, Ania?

ANIA : Nein. Dann führt Uns zu dem Baum. Jetzt gleich, los, gehen wir.

AMUTA : Nein, Ania! Die Herde wird verwirrt und unruhig sein, wenn Ihr ohne Erklärung fehlt. Ich werde hingehen und ihnen irgendetwas erzählen. Ihr müsst bloß in das Tal gehen, mitten hinein, und den Rüssel heben und schnuppern. Achtet auf einen Geruch, der an einen Tiger erinnert – dieser wunderbare Baum hat die Besonderheit, ganz widerwärtig zu stinken. Habt Geduld, wenn Ihr ihn nicht sofort entdeckt. Wartet einfach ab, dann werdet Ihr ihn sicher finden.

ANIA : Na schön. Du bist eine kluge junge Elefantenkuh und wirst es weit bringen. Du hast eine gute Tat vollbracht. Sei dir gewiss, dass du im Interesse der Herde gehandelt hast. Abgang Ania.

AMUTA : Ist es wirklich so einfach? War es schon immer so einfach? Hätte ich die unangefochtene Anführerin unserer Herde jederzeit so mühelos ins Jenseits befördern können? Verrat ist ein garstiges Wort. Ihre freundlichen alten Augen hätten mich fast ins Wanken gebracht. Arme senile Kuh! Sie ist nur eine Sklavin ihres Magens, und in ihrem Alter würde sie ohnehin sterben, wenn wir sie nicht füttern würden. Ist das allein nicht Grund genug, sie durch eine jüngere Leitkuh zu ersetzen? Überleben ist nicht den Leichtsinnigen oder Weichherzigen vergönnt. Ich habe dieses Gesetz nicht gemacht und trage keine Verantwortung dafür.Jetzt höre ich die Tigerin knurren. Sie hat die alte Ania wohl entdeckt. Selbst mir, die ich stärker bin, geht dieses Knurren durch Mark und Bein. In Trockenzeiten lässt Gott es nur Tieren wie dieser Tigerin gut gehen: Tieren, die der Hunger nicht schwächer, sondern furchterregender macht – denen der Mangel ein echter Antrieb ist! Hörst du das? Ania versucht, sich gegen die Bestie zu wehren. Was? Höre ich da etwa Anias Kampfschrei? Immer noch so laut und gewaltig, ohne jede Furcht? Dieses Gebrüll wird der Tigerin das Blut in den Adern gefrieren lassen. Mein Plan wird scheitern! Aber nein, hör nur – Anias Schrei war vergebens. Der Tigerin ist Furcht ebenso fremd, sie brüllt zum Angriff. Ania ruft mich zu Hilfe! Ganz ruhig, bleib, wo du bist. Spring ihr nicht aus einem alten Instinkt heraus zur Seite. Hörst du die Not in Anias Stimme? Da, ein Knirschen und Kauen, das Knacken von Knochen und spritzendes Blut, nie gehörte, unnatürliche Elefantenschreie. Oh, verschließe die Ohren! Welch grausamer, geräuschvoller Tod! Doch hör nur, im Todeskampf schöpft Ania letzten Atem und brüllt etwas kaum Verständliches. Wie bitte? Schreit sie etwa »Verrat«? Schreit sie wirklich »Verrat«? Begreift sie, im Sterben liegend, dass ihr Tod geplant war? Aber ach, was kümmert dich das, Amuta? Was zählt schon eine Anschuldigung, die im Wind verhallt und keinem anderen Elefanten ans Ohr dringt außer dir? Jetzt redet sie wirr, ihr Stöhnen wird schwächer. Man hört nur noch, wie die ausgehungerte Tigerin ihr Fleisch verschlingt, das Fleisch eines Elefanten wie mir, das Fleisch einer der Unseren. Was habe ich bloß getan? Und darf ich mich jetzt überhaupt noch Elefant nennen? Oder beweist diese Tat, dass in meinen Adern das kalte Blut einer anderen Kreatur fließt? Ich muss das mit mir allein ausmachen, und ich fürchte mich, denn dieser Verrat geht wider die Natur. Doch welcher Verrat nicht? Eine Anführerin muss für sich allein stehen und gerade ihre Natur herausfordern, damit diese sich zeigen kann. Und nun komm, wisch dir den Kummer aus dem Gesicht. Gehe stolz zurück zur Herde. Du hast ihr einen Dienst erwiesen. Wenn die anderen von Anias Schicksal erfahren und den Mangel an Führung und Stärke spüren, der eigentlich schon in Anias Gegenwart da war, werden sie in ihrer Bedürftigkeit keine andere als dich ansehen.

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    Shantis überstürztem Ausflug in unsere Stadt ging natürlich ihr Ausbruch aus dem Silver Brothers Circus voraus, jener Truppe, die jedes Jahr in einem Randbezirk ihre schmuddeligen Zelte aufschlägt. Der Silver Brothers Circus wurde 1871 von

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