Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition)
zugänglich ist, nämlich mir selbst), beginnt mit einer Darstellung von Blacktusks eigener heterogener Abstammung. Er stellt darin die unglaubliche Behauptung auf, ein Junge von seiner Plantage, der später ein herausragendes Mitglied der Southern Society wurde und sogar einen Sitz im Kongress bekam, sei sein leiblicher Bruder. William Blacktusks Autobiografie beginnt mit folgenden Worten:
Mein Vater war ein Mensch. Das war eine unausgesprochene und doch allgemein bekannte Wahrheit. Sie brauchte einem auch nicht explizit gesagt zu werden, so deutlich sprach sie aus meinem Antlitz, meinen großen, hellen Augen, meiner Vorliebe für Joghurt-Reis und andere köstliche Menschengerichte und meinem praktisch angeborenen Verständnis der menschlichen Sprache. Mein Vater war kein anderer als der Mann, der meine Mutter Jahre vor meiner Geburt aus der Wildnis geholt, sie in ein Gehege gesperrt und mit ihrer Hilfe seine Felder bewirtschaftet, Bäume gefällt und Holz geschleppt hatte. Ich war der leibliche Sohn dieses Mannes, so viel steht fest, und durfte dennoch nicht halb so viel erleben wie sein anerkannter (menschlicher) Sohn, jener Junge, der im Haus unter Ventilatoren saß, in so kleinen Zimmern, dass Elefanten sie nicht einmal betreten konnten; jener privilegierte Junge, der studieren und Hobbys nachgehen konnte und sich eines Tages selbst ein Haus bauen und seine eigene Ernte einbringen würde, nicht die eines anderen. Dieser Glückspilz, mein eigener Bruder, der anfangs immer zum Zeitvertreib in mein Neugeborenengehege kam und mich mit einem Stock schlug, der sich später dann einen Spaß daraus machte, auf mir zu reiten, und an den ich als Spielkamerad und Zwangsgefährte gebunden war, solange ich noch so klein war, dass ich nicht mitzureden hatte, und so naiv, daran sogar einen gewissen Gefallen zu finden – dieser Glückspilz und ich waren Brüder, und dennoch hinderte man uns daran, während unserer Jugendjahre füreinander jene natürliche Zuneigung und jenen Respekt zu empfinden, das wechselseitige Gefühl, die eigenen Werte im anderen gespiegelt und vervollkommnet zu sehen, sich an seinen Erfolgen zu erfreuen und unter seinen Sorgen zu leiden, als wären es die eigenen oder sogar noch mehr, was unser geschwisterliches Geburtsrecht hätte sein sollen. Wir wurden als Brüder empfangen, doch als Feinde aufgezogen: nicht Ram und Lakshmana, sondern Vali und Sugriva, Kain und Abel.
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Nicht nur in meinen unteren Regionen machte sich der pachyderme Unterschied bemerkbar, sondern auch in meinem Gesicht. Mein Onkel erkannte das Entstellte in meinen Zügen und brachte mir von seinen Reisen nach Thailand oder Südafrika – je nachdem, wohin ihn seine Arbeit verschlug – immer Taschen voller Kinkerlitzchen mit, die irgendwie mit Elefanten zu tun hatten. Er bedachte mich mit hölzernen Gliederelefanten aus Schweden, Stoffelefanten aus Vietnam und berüsselten Götzenbildern aus Indien. Diese Dinge belustigten mich, nehme ich an, aber nicht mehr als Tiere im Allgemeinen.
Ich habe immer gewusst, dass Onkel Gustavs Aufmerksamkeit auch eine gewisse Sorge um mein Wohlergehen innewohnte, ebenso wie er, so vermute ich, die groben, überbetonten Züge von Elefanten, ohne es je zu sagen, mit meinem eigenen seltsamen Antlitz in Verbindung brachte, in der Hoffnung, ich könnte Zuversicht schöpfen aus der Fähigkeit von Elefanten, trotz ihrer offenkundigen Missgestalt ein königliches Verhalten an den Tag zu legen.
Woher Onkel Gustavs Faszination für Dickhäuter wirklich rührte, wusste ich damals freilich noch nicht.
Onkel Gustav war der Bruder meiner Mama Katharina. Sie waren Deutsche, die Kinder von Holocaust-Überlebenden, glaube ich, und mein Vater Burt war Afroamerikaner und stammte aus Chicago. Meine Eltern begegneten sich – wirklich wahr – bei American Airlines, wo sie beide als Flugbegleiter arbeiteten. Ihre Liebesaffäre spielte sich in Flughafenbars und Vorhangkabinen hoch oben in der Luft ab, und wohl auch in den Flughafenhotels von Städten rund um den Globus. Sie heirateten im kleinen Kreis in Memphis und machten noch denselben Tag zum Honeymoon, dann zogen sie in einen nahe gelegenen Bundesstaat und ließen sich in einem Ort mit dem so sehnsuchtsvollen wie seltsamen Namen Dolphin Cove nieder, und 1978 kam ich zur Welt. Das erste Foto von uns dreien, das uns glücklich vor unserem neuen Zuhause in Dolphin Cove zeigt, besitze ich noch heute, so viele Jahre, Zimmer, Wohnungen und Häuser
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