Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition)
später; ich habe es mit Klebeband über dem Tisch befestigt, in dem Zimmer in der Stadt im Norden, in dem ich jetzt sitze und vor dessen Fenster zwei Betrunkene es gerade lautstarken miteinander treiben.
Ich erinnere mich an folgende Szene: Meine Mutter Katharina beugt sich am Abend über mein Bett und sieht mir ins Gesicht, als wollte sie mich in kleine Sterne zerteilen. Ihr Blick ist traurig und liebevoll. Ich schließe die Augen und sinke allmählich in den Schlaf, und dabei klammere ich mich an ihre Hand, damit sie nicht geht.
Sie sieht aus, als würde sie gleich anfangen zu weinen, allein weil ich so hässlich bin.
»Was ist los?«, fragt Burt, der den Kopf zur Tür hereinsteckt, während sie schniefend an meinem Bett sitzt und glaubt, ich würde schlafen.
»Seine Nase«, flüstert sie. »Seine Stirn, das ganze Gesicht.« Es ist natürlich schwierig, zwischen tatsächlich Gesagtem und Geträumtem zu unterscheiden, aber diese Gespräche glaubte ich beim Einschlafen mitzuhören.
»Ach was!«, pflegte Burt dann immer zu sagen. »Warte nur ab, das wächst sich noch aus. Man weiß nie, zu was für einem gut aussehenden Mann ein Junge einmal heranwächst.«
Wenn Onkel Gustav zu Besuch da war, fügte er manchmal hilfreich hinzu: »Er hat auch etwas Chinesisches an sich. Kann das sein?«
»Gehen wir runter«, fuhr Burt dazwischen, um dem Unsinn ein Ende zu bereiten. »Kommt, Katharina und Gustav, lasst den Jungen in Ruhe.« Dann beugte er sich über mich und gab mir einen Kuss auf die Wange, einen herrlich verrauchten, bärtigen Kuss. Und dann, Licht aus.
Sie waren ein nervöses Geschwisterpaar, Gustav und Katharina (auch wenn sie im Vergleich zu ihrer Mutter – der im tragischen, grotesken und buchstäblichen Sinne angespannten Nana Marina, die sich, als ich vierzehn war, mit dem stoffummantelten Kabel des neuen Bügeleisens erhängte, das meine Eltern ihr zum 70. Geburtstag geschenkt hatten – regelrecht locker wirkten).
Burt war stets der Ruhepol, doch auch in seiner Familie lag einiges im Argen. Sein Bruder Jerry sprang an einem eisigen Dezembertag im Alter von fünfunddreißig Jahren blank und betrunken von der ***Brücke und schoss durch das mulchige Eis ins schwarze Wasser.
Und vielleicht war es genau das, kam mir manchmal in den Sinn, wonach meine ganze Familie an jenen Abenden so besorgt Ausschau hielt: nach einem sichtbaren Hinweis auf das Selbstmörder-Gen in meinen Zügen, dem Mal der zukünftigen Selbstauslöschung auf »meiner Nase, meiner Stirn, meinem ganzen Gesicht«.
Und die beiden (Burt und Katharina) suchten auch im Gesicht des jeweils anderen danach. Sie trugen ein Geheimnis in sich – ein Geheimnis, so dachte ich mir des Öfteren, das sich um mich drehte. Man sah es an ihren traurigen Augen, an der Art und Weise, wie sie mit wissendem Blick erst mich und dann einander ansahen. Und man spürte auch, dass sie mit Argusaugen übereinander wachten, damit sich nicht einer von ihnen heimlich aus der Welt davonstahl und den anderen mit der Last – mit mir und dem Geheimnis – allein zurückließ.
Das Zerwürfnis zwischen Onkel Gustav und meinen Eltern hatte zahlreiche Gründe. Katharina deutete mir an, dass Gustav über die Hochzeit meiner Eltern nicht gerade erbaut gewesen sei, und dass sie selbst, während Burt schnell zu vergeben und vergessen bereit war, weiter um den Stachelbaum des Stolzes tanzte (aus einem glühenden ehelichen Loyalitätsgefühl heraus und wahrscheinlich auch als Gegengewicht zu Burts versöhnlichem Wesen), weshalb sie von da an häufig etwas an ihrem jüngeren Bruder Gustav auszusetzen hatte.
»Das liegt daran, dass er in seinem ganzen Leben noch nie mit einem Schwarzen befreundet war«, hatte Katharina mit einem versöhnlichen Unterton in der Stimme einmal gesagt, und das genügte mir als Erklärung.Meine Eltern Burt und Katharina kamen fünf Tage vor meinem zwölften Geburtstag auf tragische Weise ums Leben. Es war ein Autounfall: Sie hatten den Wagen in unserer geschlossenen Garage geparkt und versehentlich den Motor laufen lassen (während sie vorn auf der Bank saßen und einander bei den Händen hielten). Von da an blieb ich (bis zu deren eigenem Ableben) in der Obhut von Nana Marina.
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Draußen, im Dschungel. Auftritt Amuta, nun eine kräftige ältere Elefantenkuh, gefolgt von Koni. Gemeinsam bringen sie einen großen Baum zu Fall. Er stürzt krachend zu Boden. Sie fangen an, ihn von Blättern, Zweigen und Rinde zu befreien .
AMUTA : Als Ania von
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