Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition)
galt es nicht zu vergeuden. Ich konnte meine Briefe noch eine Weile selbst schreiben, bis sich eine komfortablere Lösung fand.
»Dhananjayan«, sagte ich, »von heute an wird dir R. bis auf Weiteres bei den täglichen Verrichtungen im Bahnhof zur Hand gehen. Und er wird meine Akten ablegen. Aber bitte, R., lass die Finger von der Schreibfeder.«
Natürlich begegnete R. all diesen Neuigkeiten mit derselben unbewegten Miene, mit der er meine vorherigen Ermahnungen aufgenommen hatte.
(Ich muss schon sagen, mein lieber Freund, diesen Teil der Geschichte hast du wirklich recht annehmbar geschrieben! Das Szenario und die Schicklichkeit meines Handelns gehen mir auf eigenartige Weise zu Herzen. Weiter so.)
Gleichsam beteuerte Dhanu mehr als ein Jahr später, als er mit getrübter Erinnerung und der verzerrten Sicht, die man im Nachhinein hat, auf die Episode zurückblickte: »Ich habe nichts vorgetäuscht, als ich seinen Brief lobte, mein Herr. Ich mochte R. nie leiden, aber was er zu Papier brachte, war wunderschön. Ich glaube, ich habe nicht einmal auf den Wandmalereien im Palast des Maharaja von Mysore solche seltsam anrührenden Dinge gesehen.«
In den Tagen zwischen jenem Vorfall und meiner Verlobungsfeier machte mir R. keine weiteren Scherereien. Allerdings hatte ich in jener Zeit wenig Aufmerksamkeit für ihn übrig, da mich die Sorgen und Gedanken, die familiären Verpflichtungen und organisatorischen Schwierigkeiten rund um die Feier und die nachfolgende Hochzeit voll und ganz einnahmen. Bräutigam zu sein, so erschien es mir damals, brachte mehr Sorgen mit sich als Freuden. Ich freute mich auf den Übergang zum Mannsein, den meine Verlobung bedeutete, und doch setzte sie mich enorm unter Druck. Es hieß, ich sei meiner Verlobten ein- oder zweimal bei Familienfesten begegnet, aber ich erinnerte mich kaum an ihr Gesicht. An manchen Tagen brannte ich vor Neugier auf diese Frau, mit der ich den Rest meiner Tage würde verbringen müssen. Doch in gewisser Weise war es mir beinahe gleichgültig, wie sie war; ich wusste, dass ich unabhängig von ihrer Person davor zurückschrecken sollte, einer neuen und unbekannten Gegenwart einen Platz in meinem Leben einzuräumen.
Mit diesen Gedanken fuhr ich an jenem Dezembernachmittag meiner Verlobung zum Haus meiner zukünftigen Frau. Während ich im gefleckten Sonnenlicht die Menschen und Häuser hinter unserem Wagen vorbeiziehen sah, bei fast schon beängstigend schönem Wetter, wurden diese Bedenken in mir immer größer und wuchsen sich schließlich zu einer Art Zorn aus. Dieser Zorn hatte rein gar nichts mit der Person der kleinen Frau zu tun, die ich heiraten würde, doch kaum dass ich sie erblickte – den Sari, der schwer über ihrer Schulter hing, das Funkeln ihres Nasenschmucks –, richtete er sich gegen sie.
In der Vorhalle kam ein Grüppchen von Familienmitgliedern mit Blumengirlanden, Sandelholzpaste und einem Krug voll Rosenwasser auf meinen Wagen zu, und noch ehe ich ausgestiegen war, begannen sie, mich zu besprenkeln und zu ölen. Im Hof spähten junge Frauen hinter den Schultern ihrer Freundinnen hervor, um einen Blick auf mich zu erhaschen; Kinder kamen zu mir, berührten mich und nahmen meine Hände, bis ihre Mütter sie wegzogen. Und ich duldete tatsächlich keinerlei Dummheiten und Unfug um mich herum.
»Wie ein Rajah«, raunten die Leute angesichts meiner Erscheinung.
Man bot mir einen Stuhl an, während andere auf dem Boden saßen. Auf einem Tablett wurden Naschwerk, Pasteten und Knabbergebäck herbeigebracht. Kaffee oder Limettensaft? Kaffee und Limettensaft. Weil ich meinen Kaffee nicht austrank, schimpfte der Vater meiner Braut mit seiner Frau, schrie die Frau den Koch an und schalt der Koch die Bediensteten. Ich bekam eine leise Ahnung davon, was die Wendung »behandelt werden wie ein Bräutigam« bedeutete, und als es an der Zeit war, zum Tempel aufzubrechen und die eigentliche Zeremonie anzutreten, waren die Schwermut, die Beklemmung und der Zorn, mit denen der Tag begonnen hatte, ganz und gar von mir abgefallen.
Zu Fuß gingen wir zum Tempel, nur wenige Meter am Bahnhof vorbei. Ich hatte den Betrieb an jenem Tag in die fähigen Hände von Dhanu übergeben, der R. als Gehilfen hatte. Und obwohl ich Dhanu voll und ganz vertraute, war ich doch etwas in Sorge, er könnte die Gelegenheit nutzen, um mit dem glücklosen R. einen Streit vom Zaun zu brechen. Flankiert von meiner Mutter und meinem Vater ging ich die Straße entlang, umgeben von der
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