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Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition)

Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition)

Titel: Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rajesh Parameswaran
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»Ich habe Dhanu im Spaß gescholten, aber ich bin mir sicher, selbst er würde einen besseren Schreiber abgeben als du, R. Was meinst du, Dhananjayan Rajesupriyan? Was würdest du an meiner Stelle tun?«
    Dhanu, der jetzt begriff, woher der Wind wehte, hielt mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg. »Ich würde ihm das Ohr verdrehen, bis er aufjault, genau das würde ich tun. Dann würde ich ihn nach Strich und Faden verprügeln und heulend vor seiner Tür absetzen. Soll ich das für Sie übernehmen?« Dhanu nahm seinen Besen und streckte ihn drohend empor.
    Ich wies den Jungen in seine Schranken, indem ich ihn ein weiteres Mal am Ohr zog. »Das ist nicht dein Büro«, rief ich ihm in Erinnerung. Dann wandte ich mich an R. »Da hast du es gehört. Nun, R., was hast du selbst dazu zu sagen?«
    Doch R. sagte nichts. Nein, dieser Bartleby (dieser Wer?) sah mir einfach nur in die Augen, weder zornig noch ängstlich, weder abwehrend noch bittend. Er schien immer noch von der Ruhe getragen, die ihm das Schreiben und Lesen seiner absurden Seiten verschafft hatte. Voller Gleichmut sah er mich an, ohne die kleinste Spur von Boshaftigkeit und ohne einen Hauch von Bewusstsein für seine Missetaten. Angesichts von R.s überwältigender Ruhe geriet mein Entschluss ins Wanken. Vielleicht, so überlegte ich mir, hatte er doch nicht absichtlich so gehandelt, und der verpatzte Brief rührte von irgendeinem unkontrollierbaren Zwang in seinem Inneren her. Dieser innerliche Defekt hielt ihn freilich davon ab, seine Pflichten zu erfüllen. Doch vor mir stand die Unschuld in Person. Und da es von Natur aus schwer ist, einem unschuldigen Charakter gegenüber Härte walten zu lassen, zögerte ich noch immer, die Worte auszusprechen, zu denen ich fest entschlossen war.
    Ich ertappte mich dabei, wie ich nach einem Grund suchte, um ihn an diesem heißen Nachmittag nicht vor die Tür setzen zu müssen. Wieder erinnerte ich mich an seine Armut, sein mitleiderregendes Äußeres bei unserer ersten Begegnung und die arme Mutter, die er versorgte. Wäre die Anerkennung, die mir dafür gebührte, einen bedürftigen Brahmanen in Lohn und Brot gebracht zu haben, nun verloren, wenn ich ihn entließe? Würde es als schlechtes Omen oder schlechter Stil gelten, ihn so kurz vor meiner Verlobung zu entlassen?
    Außerdem gab es noch etwas, was R. gesagt hatte – etwas, was möglicherweise auf eine schmerzhafte Ähnlichkeit zwischen ihm und mir schließen ließ. »Da ich mich vor Kurzem verlobt habe«, hatte er mir am Tag unserer ersten Begegnung gesagt, »so frisch verlobt, weiß ich mir nicht anders zu helfen, gütiger Herr. Ich weiß mir einfach nicht zu helfen.«
    Ich konnte natürlich nicht davon ausgehen, dass R. meine abscheulichen Neigungen teilte. Doch hier war jemand, der sich, genau wie ich, deutlich von der Masse abhob. Hier war jemand, der die normale Welt etwas … verwirrend fand. Und während ich einen Weg gefunden hatte, in ihr (der normalen Welt) zu funktionieren – genau genommen, mein Leben zu meistern –, blieb R., gleich einer Umkehrversion meiner Selbst, draußen vor der Tür und blickte hinein.
    Bald schien es mir, als spräche jeder dieser Gründe dagegen, R. zu entlassen – zumindest so lange, bis ich ihm helfen konnte, etwas anderes zu finden, um sich und seine kleine Familie zu ernähren.
    »R.«, sagte ich zu ihm, jetzt mit sanfterer Stimme, »der Brief, den du da niedergeschrieben hast, ist absolut nicht der, den ich dir diktiert habe. Ob du es nun zugeben kannst oder nicht, du weißt, dass es stimmt. Versicherst du mir, dass du dich künftig bemühst, deine Aufgaben sorgfältig zu erledigen und mit den Gedanken bei der Sache zu sein?«
    Seine Augen reagierten auf meine Worte; ich sah, er verstand sie.
    »Ja, mein Herr«, sagte er zu mir.
    »Na also«, erwiderte ich strahlend und war stolz darauf, dass ich mit meinem maßvollen Ton, meiner schnellen Auffassungsgabe und meinem gebieterischen Auftreten die Klippen jenes eigenartigen Problems umschifft hatte und mit Entgegenkommen belohnt worden war. Ich hatte R. trotz seines Verhaltens seinen Broterwerb bewahrt. R. und Dhanu – solche Menschen waren auf entschlossene und besonnene Chefs wie mich angewiesen. Was würden unsere Dorfbewohner essen, wie würden die Eisenbahnen fahren, wie würde sich die Welt drehen, wenn es uns nicht gäbe?
    Nun hielt ich es jedoch selbst nach R.s Zusicherung für das Klügste, ihn von Papier und Tinte fernzuhalten. Diese kostspieligen Güter

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