Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition)

Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition)

Titel: Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rajesh Parameswaran
Vom Netzwerk:
geschrieben hatte, schienen sie ihn von Neuem zu erbauen.
    »Komm schon, R.«, sagte ich. »Tu doch nicht so, als würdest du dort etwas lesen, darauf falle ich nicht herein.« Doch er sah immer noch nicht vom Blatt auf. Ich lachte, und aus meinem brüchigen Lachen klangen meine Unsicherheit und mein wachsendes Entsetzen heraus.
    In der darauf folgenden Stille wurde mir klar, dass ich ihn eigentlich am Ohr hinauszerren sollte, aber ich muss gestehen, er wirkte so entzückt von seinem Brief, dass ich irgendwie zögerte, ihn aus seiner Träumerei zu reißen! In diesem törichten Moment des Zögerns kam mir jedoch die Idee, mir diesen Wahnsinn unbedingt bestätigen zu lassen, als nochmalige Versicherung, dass R.s Gleichmut tatsächlich nur gespielt war – dass er sich unverschämt verhielt und nicht meine eigene Wahrnehmungskraft zerstört war.
    Ich trat ans Fenster und rief Dhananjayan. Als er hereinkam, bat ich R. höflich, Dhanu den Brief zu zeigen, und R. – der seine Lektüre offenbar beendet hatte – tat, wie ihm geheißen.
    »Dhananjayan«, sagte ich so ruhig und liebenswürdig ich konnte, als wäre alles in bester Ordnung, »würdest du uns bitte sagen, was du von diesem Brief hier hältst, den R. in meinem Namen niedergeschrieben hat?«
    Mit verwirrter Miene sah Dhanu zuerst R. und dann mich an. Dann hob er den Brief vor seine Augen. Das Blatt verdeckte sein Gesicht, aber aufgrund seines leisen Räusperns und seines interessierten Gemurmels stellte ich mir vor, wie er den Brief mit leicht zugekniffenen Augen durchging, um ebenso gespannt wie ich zuvor irgendeine Bedeutung in etwas zu erkennen, was eindeutig bedeutungslos war. Er ließ sich reichlich Zeit, und ich stand unter Strom und fürchtete, er könnte irgendeine Erklärung für die Tollheit auf dem Papier gefunden haben, irgendeine Bedeutung, die offensichtlich war, sich mir aber wegen irgendeines grundlegenden Defekts meiner Auffassungsgabe verschloss.
    Schließlich gab er mir den Brief zurück, sah mit Gewissheit im Blick zu R. und dann zu mir und teilte mir mit einem zufriedenen Kopfwiegen folgenden Schluss mit:
    »Ein guter Brief. Tadellos, Sir.«
    »Tadellos?«, konnte ich nur wiederholen, und meine Stimme kam mir dünn und weit entfernt vor.
    Das Entsetzen kroch mir in die Seele, denn das war der sichere Beweis, dass ich verrückt war oder meinen Augen nicht mehr trauen konnte. Wie viele andere Dinge, so fragte ich mich, hatten für jedermann auf der Welt eine Bedeutung, nur nicht für mich? Lag es daran, dass ich von meinen Eltern verwöhnt und mein Leben lang in diesem kleinen Dorf behütet worden war, dass mir diese Unfähigkeit bisher nicht aufgefallen war?
    Die Erklärung kam mir nur langsam, und die Beklemmung, die so schwer auf meinem Herzen gelastet hatte, löste sich wie ein Eisendeckel von einer staatlichen Quelle. Nun, Dhananjayan war ein absoluter Analphabet! Ein Brief auf Englisch sagte ihm ebenso wenig wie ein Brief in der Sprache der Vögel. In meiner Aufregung war es mir entfallen: Der Junge hatte keine Ahnung, ob er blankes Kauderwelsch oder Shakespeares Sonette vor sich hatte!
    Ich hatte nun also erneut Grund, ihm das Ohrläppchen zu verdrehen. »Du redest mal wieder einfach so daher, hm, Dhanu? Wie oft habe ich dir gesagt, du sollst schweigen, wenn du nicht weißt, wovon du sprichst? Ach, eigentlich sollte ich euch beide rauswerfen!«
    Ich ließ von Dhanus Ohr ab und wandte mich an R., nun endgültig davon überzeugt, dass mir nichts anderes übrig blieb, als ihn auf der Stelle zu entlassen, zu feuern, zum Teufel zu schicken, fortzujagen und auszulöschen. Einen Sekretär, der kein Diktat aufnehmen konnte – schlimmer noch, der vorgab, er würde ein Diktat aufnehmen, während er in Wirklichkeit Schändliches trieb und noch dazu Tinte und Papier vergeudete –, konnte und würde ich in meinem Büro nicht dulden.
    »Ungeachtet Dhananjayans Urteil – kannst du mir sagen, warum ich dich nicht hier auf der Stelle vor die Tür setzen sollte?«, herrschte ich R. an.
    Weder antwortete R. noch schien ihn meine Schimpfkanonade auch nur im Geringsten aus der Fassung zu bringen, und in der sich wieder ausbreitenden Stille stellte ich fest, dass ich nicht recht den »Mumm in den Knochen« hatte um fortzufahren. Um Mut zu schöpfen, trat ich näher an Dhananjayan heran, der bass erstaunt auf die sich vor ihm ausbreitende Szene blickte und sich sein zartes Ohr rieb. Ich klopfte Dhanu auf die Schulter – nichts für ungut – und sagte:

Weitere Kostenlose Bücher