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Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition)

Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition)

Titel: Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rajesh Parameswaran
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Dampfwolke. Er hat mit niemandem geredet, und er hatte den Gesichtsausdruck von jemandem, der nicht vorhat, zurückzukehren.«
    Nun konnte ich meinen inneren Aufruhr nicht mehr verbergen; ich schüttelte den Arm des Jungen von mir ab. »R. ist nun also fort? Wie lange bleibt er denn? Warum hast du ihn nicht aufgehalten? Warum hast du nicht darauf gedrängt, dass er dir sagt, was er vorhat? Dhananjayan Rajesupriyan, hast du etwa einfach nur dumm dagestanden und zugesehen, wie er gefahren ist?«
    »Sie sagen mir doch immer, ich soll keine sinnlosen Fragen stellen«, entgegnete Dhanu. »Ich hatte den Eindruck, es steht mir nicht zu.« Dann hielt er inne. »Kann es Sie denn wirklich bestürzen, dass R. fort ist, mein Herr? Hat er Ihnen denn nicht nur Kummer und Sorge bereitet, während er hier war?«
    »Nun, das ist wohl wahr, Dhanu«, musste ich zugeben. »Herr R. hat mir mehr Sorgen bereitet als je zuvor jemand. Um ein Haar hätte er mein Leben ruiniert.«
    »Sollten Sie dann nicht recht froh sein, dass er fort ist, Sir?«, fragte Dhananjayan und blinzelte.
    Ich wusste keine Erwiderung. Der verschlagene Junge wusste genau, dass er mich in eine Ecke gedrängt hatte.
    (Dürfte ich kurz die Gelegenheit ergreifen, um dein Urteilsvermögen und deinen Charakter in Zweifel zu ziehen? So dramatisch all das ist, so muss ich doch nochmals betonen, dass es mich zu Unrecht in ein schlechtes Licht rückt. Was willst du damit eigentlich bezwecken? Das eigene Leben auf solch verfremdete und bizarre Weise vorgeführt zu bekommen, das ist eine Art von Folter. Interessant zwar, aber auf höllische Art und Weise. Egal, bring es nur schnell zu Ende.)
    Um etwas Licht ins Dunkel jener seltsamen Ereignisse zu bringen, von denen mir Dhanu berichtet hatte, ging ich am Abend endlich zu R.s Wohnung (eigentlich war es nur ein Zimmer; ein dunkles, gemietetes Zimmer in einer Bruchbude), um nach seiner armen Mutter zu sehen. Doch was ich dort erfuhr, machte R.s Verschwinden nur noch schleierhafter, denn R.s Mutter wusste noch weniger als ich, wo der Junge steckte. Die kurzsichtige, sorgenvolle Greisin erzählte mir, als sie am Morgen zuvor aufgewacht sei, habe sie R.s Schlafmatte fein säuberlich zusammengerollt vorgefunden; sein Hemd und sein Notizbuch hätten gefehlt und von dem Jungen sei keine Spur gewesen. Er war verschwunden, ohne eine Nachricht oder irgendeinen Hinweis darauf zu hinterlassen, wohin er aufgebrochen war. Soweit sie wusste, war er tatsächlich einfach so verschwunden.
    Als die alte Frau hörte, dass R. dabei beobachtet worden war, wie er in die Madras Mail stieg, war sie verwundert und beunruhigt.
    »Gute Frau«, versuchte ich sie zu beruhigen, »er ist sicher nur in eine der Nachbarstädte gefahren, um Verwandte zu besuchen oder sich nach einer Arbeit umzusehen.«
    »Was für Verwandte?«, rief sie. »Was für eine Arbeit? Er kennt doch keinen; er kann doch nichts. Das wissen Sie so gut wie ich, mein Herr.«
    Die alte Dame war untröstlich, im Wechsel besorgt über das Schicksal ihres Sohnes und zornig auf ihn. »In drei Wochen soll er heiraten, mein Herr«, erzählte sie mir. »Ich hatte Glück, überhaupt ein Mädchen zu finden, das bereit ist, so einen Jungen zu heiraten. Es wäre nur zu verständlich gewesen, wenn sie verschwunden wäre.«
    »Er wird sicher rechtzeitig zu seiner Hochzeit zurückkommen«, wagte ich zu äußern. »Er hat ja nicht … vollkommen den Verstand verloren.«
    »Hier, sehen Sie sich das bloß an, mein Herr!« Die alte Dame öffnete einen Schrank. »Das sind seine Sachen. Das ist mein Sohn.« Die Fächer waren randvoll mit losen Zetteln, eingerissenen und zerknitterten Papierfetzen und Zeitungsausschnitten – Hunderte, ja Tausende von Blättern. Ich nahm eins nach dem anderen heraus und sah es mir an. Sie waren von oben bis unten mit demselben unentzifferbaren Gekrakel bedeckt – Seite um Seite. »Das ist mein Sohn. Das ist der Junge, von dem wir reden!«, klagte die alte Frau, und meine Haut begann zu kribbeln.
    In jener Woche telegrafierte ich an alle meine Kontakte bei der Eisenbahn, die ganze Linie hinauf und hinab bis selbst nach Madras, um zu sehen, ob irgendjemand Angaben zu R.s Aufenthaltsort machen konnte. Doch absolut niemand, egal wo, konnte sich daran erinnern, ihn überhaupt je gesehen zu haben. Es kam mir immer mehr so vor, als würde Dhanus Fantasiebeschreibung zutreffen: R. war in den Zug gestiegen und hatte sich in Luft aufgelöst.
    Drei Wochen vergingen. Der geplante Termin für

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