Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition)
restlichen Tage zu zweit zu genießen.«
Nirmala dreht sich wieder weg und befühlt weiter die Uhr, und ihre Augen glänzen wie die von Ingrid Bergman in Notorious , als sie gefühlvoll und leidenschaftlich zum Fenster hinaussieht (Halbnahe), während Cary Grant hinter ihr steht.
»Warum etwas überstürzen?«, flüstert sie. »Lass mich erst nach Indien zurückfliegen und alles regeln. Auf diese Weise geht der Übergang vielleicht sanfter vonstatten, meinst du nicht?«
Natürlich ist sie vorsichtig. Aber sie ist auch voller Hoffnung; ich vertraue ihrer Einschätzung der Situation. »Wie du meinst, Liebling. Wenn dir das lieber ist.«
»Du bist ein Schatz, Bibhuti«, seufzt sie. Mein Kameraauge zoomt ihre Hände heran. Sie lässt die silberne Armbanduhr von einer Hand in die andere gleiten und wendet sie nach hier und nach da, um das Licht einzufangen. Dreiviertelaufnahme: Sie blinzelt sich die Tränen aus den Augen. »Wunderschön, hm?«
»Ich trage übrigens keine Armbanduhren, Liebling. Sie stören mich.«
Sie schüttelt den Kopf und öffnet ihr Portemonnaie.
»Wir werden so glücklich zusammen sein, du und ich!«, flüstere ich.
»Psst«, tadelt sie mich, denn die Verkäuferin steht jetzt direkt vor uns. Nirmala unterschreibt den Kreditkartenbeleg, und die Verkäuferin legt die Uhr in eine Schachtel. Die Kamera fährt hoch, von uns weg (Kranaufnahme), und Nirmala verlässt gemeinsam mit mir den Laden, in ihrer Tasche die Fünftausend-Dollar-Uhr.
9
Manchmal erscheint mir das Leben sehr lang. Was habe ich nicht alles erlebt! An anderen Tagen kommt es mir vor, als wäre alles viel zu schnell vergangen, und trotzdem habe ich nichts gelernt, nichts fertiggebracht. Ich fühle mich seltsam neu auf der Welt. Wann hat man lange genug gelebt, um ein paar Schlüsse zu ziehen, um etwas Intelligentes darüber zu sagen?
Mit anderen Worten: Was kann ich über eine Kultur sagen, die nicht ganz und gar meine eigene ist?
Tag für Tag ringe ich um eine Antwort. Der Dreh ist eine entsetzliche Qual. Regie zu führen ist nicht annähernd so, wie ich es mir vorgestellt hatte, auch wenn ich in meinem Leben inzwischen hunderttausend Filmsets gesehen habe. Mr Jefferson Bundy mischt sich viel zu sehr ein, sieht sich am Abend die Tagesaufnahmen an und kommt dann ans Set und ruft stöhnend und kopfschüttelnd meinen Namen.
Schon morgens um halb neun gibt es fünfundneunzig Probleme, und bis nachmittags zum Tee müssen weitere vierhundert Entscheidungen getroffen werden. (An meinem Set gibt es immer zehn Minuten Teepause.) Die New Yorker Crew behandelt mich manchmal wie einen Hinterwäldler, so als könnten sie den Film ohne mich schneller drehen. Nachts finde ich kaum Schlaf, so sehr schmerzen mein Nacken, mein Rücken und meine Hüften; alle zehn Minuten reiße ich die Augen auf, weil mir irgendeine neue Sorge in den Sinn kommt oder ich dringend irgendetwas in mein Notizbuch kritzeln muss.
Aber ich führe Regie; ich pflüge meinen eigenen Acker und warte ab, was darauf keimt. Das Seltsame daran ist die Einsamkeit. Alle dreißig Minuten sieht mich die Crew einfach nur an und wartet auf irgendeine klare Anweisung. Oder sie drücken sich am Rand herum, rauchen und schwatzen, als ginge es um irgendetwas, und nicht um das Lebenswerk eines Menschen. Und Jogesh, der Hund, war ein absoluter Gentleman, als ich ihm die Neuigkeit auf der Abschlussgala des Festivals unterbreitete. »Meinen Glückwunsch, Bibhuti. Ich habe immer gehofft, dass du eines Tages selbst einen Film drehst.« Er legte mir eine Hand auf die Schulter. »Für einen Regisseur ist jeder neue Tag eine Entdeckung. Ich wünsche dir viel Erfolg.« Er reagierte so gelassen, dass ich mich fragte, ob ihm irgendjemand etwas gesteckt hatte oder ob er die ganze Zeit etwas geahnt hatte; ob er sich innerlich schon ins Fäustchen lachte, weil ich bald die Quittung bekommen würde.
Als weitere Geldgeber hat Mr Jefferson Bundy Prakash und Akash mit ins Boot geholt, die Arora-Brüder aus Mumbai, und das bedeutet, dass ich nur nach Amerika gekommen bin, um am Ende einen Bollywood-Film zu drehen. Sei es drum. Meine Geschichte, etwas umgeschrieben, handelt von zwei jungen Freunden – der eine ernst, der andere ein Luftikus –, die nach New York reisen, wo ihre Freundschaft durch eine Amerikanerin, in die sich beide verlieben, auf die Probe gestellt wird. Diese Frau wohnt in Manhattan, und ihre Eltern betrachten die beiden ausländischen Verehrer mit großer Skepsis. In einer
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