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Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition)

Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition)

Titel: Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rajesh Parameswaran
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Schlüsselszene tanzen die drei jungen Leute Arm in Arm um den Springbrunnen des Lincoln Center – oh Mann, der Dreh dieser Szene ist die Hölle, mit den nächtlichen Gaffern und den mürrischen Polizisten. Meine beiden Hauptdarsteller, diese aufgeblasenen, sorgfältig frisierten Mumbai-Jungen, werden manchmal ungeduldig; sie versuchen mich zu beschwatzen und zu lenken und erfinden nach Lust und Laune eigene Dialoge. »Diese Zeile ist nicht witzig«, »Die Szene ist total unglaubwürdig«, sagen sie mir seelenruhig, wenn ich sie in die Schranken weise. »Das Kostüm sieht nach nichts aus.« Sie sind weder beeindruckt noch eingeschüchtert, sondern tun einfach so, als würden sie mich im Verkehrslärm nicht hören, wenn ich meine Anweisungen in das Funkgerät brülle; eigentlich führen sie selbst Regie. Gegen Ende des Films (darauf bestanden die Geldgeber) verstricken sich die beiden Freunde im Netz von Nine-Eleven in Verdächtigungen und schließlich in der Frage: Werden sie es schaffen, hier heimisch zu werden?
    Ich weiß genug. Trotz all dem Beifall, den Jogesh für seinen ersten Film geerntet hat, was wusste er denn schon über jenes Dorf? Er war in einem Haus mit zwölf Zimmern voller Bücher aufgewachsen, und in seinem Film sah man hauptsächlich strohgedeckte Hütten. Aber was haben wir doch für ein rührendes Werk erschaffen, perfekt bis ins kleinste Detail, auch wenn einige dieser Details frei erfunden waren.
    Wir sind nur Besucher. Nichts von alldem gehört uns. Was wussten Jogesh und ich über das Herz des Menschen? Und trotzdem zeigten wir es.
    »Wir müssen das Ende umschreiben!«, brüllt Jefferson Bundy, nachdem alles im Kasten ist. »Die Liebesszenen müssen neu gedreht werden. Wir müssen die Hauptrollen umgestalten.« Und so weiter, und so fort.
    Nirmala leitet allmählich ihren Umzug in die Wege. Wenn Bedienstete ans Telefon gehen, verwende ich ein cleveres Pseudonym: »Hier ist Mr Shah, der Lebensmittelhändler. Ich rufe an, weil Mrs Sen Granatäpfel bestellt hatte.«
    »Bald«, sagt sie. »Aber Barun hat gerade seine zweite Tochter bekommen. Sie können jede Hilfe im Haus gebrauchen. Ich kann nicht sofort hier weg.«
    »Bald«, sagt sie. »Aber wir haben gerade einen Spendenbeschaffer von der Styajit-Ray-Gedenkstiftung bei uns zu Gast. Ich kann doch nicht einfach alle im Stich lassen.«
    »Bald«, sagt sie. »Aber … Jogesh nimmt mich für zwei Wochen mit nach Paris. Und außerdem hat er eine dritte Haushälterin für mich eingestellt, und es muss jemand hier sein, um sie einzuarbeiten.«
    Zu guter Letzt erklärt sie mir: »Bibhuti, ich habe ihm die Wahrheit gesagt. Ich habe ihm alles erzählt. Zwei Wochen lang war er fuchsteufelswild, und ich hatte schon meine Sachen gepackt. Aber jetzt hat er ein Einsehen. Er bleibt an den Wochenenden zu Hause.«
    Und dann ist Mrs Sen immer gerade zum Tennisunterricht gegangen, wenn Mr Shah anruft; Mrs Sen trinkt Tee mit ihren Enkelkindern, Mrs Sen teilt ihr Bedauern mit, möchte die Granatäpfel aber gern wieder abbestellen.
    Das Filmmaterial ist ein beängstigendes Chaos. Ich sitze zusammen mit der wortkargen Cutterin, die Jefferson Bundy für mich engagiert hat, in der kühlen Schneidekammer. In dieser sterilen Computerhöhle zwinge ich mich, nur an den Film zu denken, um gegen meine Übelkeit anzukämpfen, jeden Gedanken an Nirmala zu verdrängen und nicht mehr pausenlos im Kopf alles durchzugehen – jeden unserer gemeinsamen Momente, jedes nicht erkannte Signal, meine große Vision, der es im Detail an so vielem fehlte. Zuerst schneidet die teilnahmslose Cutterin hier ein paar Sekunden und dort eine Minute, und als Nächstes überzeugt sie mich, ganze Szenen zu kippen. Allmählich wird mir klar, dass ganze Drehtage umsonst waren; ein einziger grausamer Mausklick, und sie werden entsorgt. Wir prüfen Dutzende von Takes von ein und derselben Dialogzeile und suchen nach einem Hauch von Gefühl, nach irgendetwas Authentischem oder Unerwartetem; in endlosen Umstellungen ordnen wir Szenen und Sequenzen und ordnen sie dann wieder neu, in dem verzweifelten Bemühen, so etwas wie Handlung oder Spannung herauszukitzeln, diesem schwerfälligen Streifen Leben einzuhauchen.
    Wenn ich dann spät abends Feierabend habe, gehe ich spazieren und verliere mich im Sog von Beton und Menschen. Vorsichtig setze ich einen Fuß vor den anderen und spüre eine eigenartige Leichtigkeit in den Beinen, so als könnte ich jeden Moment ausrutschen und hinfallen. Allmählich leeren

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