Ich bin kein Serienkiller
auch nur aus dem Augenwinkel beobachtet hatte. Ich hielt den Atem an, als er sich meinen Bäumen näherte, doch er blieb nicht stehen und schaute nicht herüber. Er bückte sich, um im Schnee etwas aufzuheben – vielleicht das weggeschleuderte Messer –, richtete sich gleich wieder auf und ging zu seinem Auto. Mit einem Klicken öffnete sich die Kofferraumhaube, Plastik raschelte, dann fiel der Deckel wieder zu. Mit ruhigen, zielstrebigen Schritten kehrte er zu der Leiche zurück.
Ich hatte gerade einen Menschen sterben sehen. Mein Nachbar hatte ihn umgebracht. Das war mehr, als ich jetzt gleich verarbeiten konnte. Ich zitterte haltlos und wusste nicht einmal, ob vor Kälte oder vor Angst. Mit den Händen hielt ich meine Beine fest, damit mich das Rascheln nicht verriet.
Ich weiß nicht, wie lange ich da im Schnee lag und lauschte und darum betete, dass er mich nicht fand. Schnee war in meine Schuhe, meine Hose und mein Hemd geraten, er schmolz und rutschte mir in den Kragen, das Wasser rann den Rücken hinab und sammelte sich über dem Gürtel. Es war eiskalt. So kalt, dass es brannte. Draußen raschelte das Plastik, ich hörte Knochen knacken und immer wieder ein keuchendes Seufzen. Eine unendliche Zeitspanne später schleifte Crowley etwas Schweres über den Boden. Er grunzte angestrengt, und seine Stiefel scharrten auf dem Eis des Sees.
Zwei Schritte. Drei. Vier Schritte. Als er zehn Schritte entfernt war, richtete ich mich langsam und vorsichtig auf und spähte zwischen den Bäumen hindurch. Crowley ging über den gefrorenen See, er hatte sich einen Plastiksack über die Schultern gelegt, und die Eissäge baumelte an seinem Gürtel. Er lief langsam und vorsichtig, prüfte bei jedem Schritt das Eis und kämpfte sich durch den schneidenden Wind. Seine Silhouette wurde immer kleiner, wütend umtosten ihn die Böen und bombardierten ihn mit Eissplittern, als sei die Natur erzürnt über seine Tat – oder als sei irgendeine dunklere Macht erfreut. Als er eine halbe Meile weit draußen war, verschwand er im Schneetreiben.
Unbeholfen kletterte ich aus den Bäumen hervor. Meine Beine waren weich wie Marmelade, und meine Gedanken rasten. Immerhin dachte ich noch daran, die Spuren zu verwischen. Ich brach einen niedrig hängenden Kiefernzweig ab, bewegte mich rückwärts zu meinem Fahrrad und verwischte dabei meine Fußabdrücke, wie ich es einmal bei einem Indianer in einem alten Film mit John Wayne gesehen hatte. Perfekt war es nicht, aber es musste reichen. Dann nahm ich mein Fahrrad, raste auf der anderen Seite der Bäume entlang und hoffte, Crowley werde so weit vom Tatort entfernt nicht auf meine Spuren achten. Als ich die Straße erreicht hatte, trat ich wie besessen in die Pedale, um die Stadt zu erreichen, bevor er zurückkehrte und mich mit seinem Auto überholte.
Die Kiefern waren dunkel wie die Hörner von Dämonen, und die untergehende Sonne färbte die kahlen Äste der Eichen rot wie blutige Knochen.
ACHT
In dieser Nacht schlief ich kaum, denn was ich am See beobachtet hatte, ließ mir keine Ruhe. Mr Crowley hatte einen Mann getötet. Einfach so. In einem Moment hatte das Opfer noch gelebt, gekreischt und um sein Leben gekämpft, und im nächsten war es nur noch ein Haufen totes Fleisch gewesen. Das Leben, was es auch war, hatte sich in nichts aufgelöst.
Ich wollte das noch einmal sehen und hasste mich selbst dafür.
Mr Crowley war ein Monster – ein Ungeheuer in Menschengestalt, das sich die Lungen des Toten einverleibt hatte. Ted Rasks fehlendes Bein, Jeb Jolleys Niere und Dave Birds Arm fielen mir ein. Hatte Crowley sich diese Körperteile ebenfalls angeeignet? Mir kam der Gedanke, dass er womöglich völlig aus den Körperteilen von Toten bestand. Dr. Frankenstein und sein Monster, in einem einzigen unheimlichen Killer zusammengefasst. Aber wie hatte das angefangen? Was hatte sich vor dem Diebstahl des ersten Körperteils ereignet? Vor meinem inneren Auge sah ich dunkle, ledrige Haut, einen knollenförmigen Kopf und lange, wie Sicheln gekrümmte Krallen. Ich war kein religiöser Mensch, aber mir fiel sofort das Wort Dämon ein. Der Sohn des Sam hatte die Ungeheuer in seinem Leben Dämonen genannt, und was ihm recht war, sollte mir billig sein.
Meine Mom war klug genug, mich in Ruhe zu lassen. Als ich zu Hause war, weichte ich meine von Urin durchnässten Sachen in der Waschküche ein und duschte. Wahrscheinlich bemerkte sie die Kleidung oder roch etwas und nahm an, ich hätte einen meiner
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