Ich bin kein Serienkiller
Unfälle gehabt. Bettnässer verlieren, wenn sie wach sind, nur selten die Kontrolle, aber aus verschiedenen Gründen geschieht es dennoch gelegentlich – große Angst, Trauer oder Furcht können die Ursachen sein. Jedenfalls war sie so vernünftig, an diesem Abend kein Wort zu sagen und ihren Frust an der Wäsche statt an mir auszulassen.
Nachdem ich geduscht hatte, schloss ich mich in meinem Zimmer ein und blieb bis fast zum Mittag des folgenden Tags dort. Ich war in Versuchung, mich sogar noch länger zu verkriechen. Es war Thanksgiving, und Lauren hatte sich geweigert zu kommen. Im Haus herrschte eine unerträgliche Spannung. Im Gegensatz zu allem, was ich gerade erlebt hatte, war ein bedrückendes Abendessen jedoch ein Klacks. Ich zog mich an und ging ins Wohnzimmer.
»Hallo, John«, sagte Margaret. Sie saß auf der Couch und verfolgte das Ende von Macys Thanksgiving-Umzug.
Mom war an der Anrichte in der Küche beschäftigt. »Guten Morgen, mein Lieber.« So nannte sie mich nur, wenn sie das Gefühl hatte, sie müsse etwas wiedergutmachen. Ich grunzte irgendetwas und kippte Müsli in meine Schale.
»Du musst fast verhungert sein«, fuhr Mom fort. »Wir essen in zwei Stunden, aber mach nur – du hast ja seit dem Mittagessen gestern nichts mehr zu dir genommen.«
Es gefiel mir überhaupt nicht, wenn sie so nett zu mir war. So verhielt sie sich nur in Notfällen. Es war wie ein offenes Eingeständnis, dass etwas nicht stimmte. Ich zog es vor, die Dinge schweigend reifen zu lassen.
Langsam kaute ich mein Frühstück und fragte mich, was Mom und Margaret getan hätten, wenn sie die Wahrheit erfahren hätten – dass ich mich nicht aus Furcht oder aufgrund emotionaler Probleme verkrochen hatte, sondern weil ich die Möglichkeiten eines übernatürlichen Mörders faszinierend fand. In der Nacht hatte ich mir einige Puzzleteile und das Profil der Verbrechen zusammengesetzt und freute mich darüber, wie gut alles passte. Der Mörder stahl Körperteile, um seine eigenen zu ersetzen, die nicht mehr richtig funktionierten. Crowley hatte kranke Lungen, also besorgte er sich neue. Es lag nahe, dass er die anderen Opfer aus dem gleichen Grund getötet hatte. Crowley hatte schon lange Schmerzen im Bein gehabt, aber gestern war er gelaufen, ohne zu humpeln oder sich irgendetwas anmerken zu lassen. Das kranke Bein hatte er durch dasjenige ersetzt, das er Rask gestohlen hatte. Der schwarze Kleister, der bei jedem Opfer gefunden worden war, stammte von den degenerierten alten Körperteilen, die er weggeworfen hatte. Die Opfer waren große Männer gewesen, weil Crowley ebenfalls groß und kräftig war und Körperteile brauchte, die zu ihm passten. Die Morde und die grässlichen Verstümmelungen – alles war dadurch zu erklären, dass ein Dämon in einem menschlichen Körper hauste.
Genauer gesagt wohnte ein Dämon in einem Körper, der aus den Körperteilen anderer Menschen zusammengesetzt war. Vermutlich war es bei der vierzig Jahre alten Geschichte, die Ted Rask in Arizona ausgegraben hatte, um genau das Gleiche gegangen – wahrscheinlich war es sogar ein und derselbe Dämon. Oder gab es noch mehr Dämonen, die waren wie er? Hatte Crowley vor vierzig Jahren in Arizona gelebt? Obwohl er ein sensationsgeiler Affe gewesen war, hatte Rask offenbar eine heiße Spur gefunden.
Immer wieder kehrten meine Gedanken zum Mord selbst zurück. Zum Blut, zu den Geräuschen und den Schreien des Sterbenden. Theoretisch war mir klar, dass es mich stärker hätte berühren sollen – ich hätte mich übergeben, weinen oder die Erinnerungen verdrängen sollen. Doch ich aß nur eine Schale Müsli und überlegte mir, was ich als Nächstes tun musste. Theoretisch konnte ich die Polizei in sein Haus schicken, aber welche Beweise fände man dort schon? Der letzte Tote war ein Streuner gewesen, an den sich niemand erinnerte und den niemand vermisste. Crowley hatte die Leiche und alle Beweise im See versenkt. Er wurde klüger. Würde man auf einen anonymen Hinweis hin einen ganzen See ausbaggern? Würde man das Haus eines geachteten Mitbürgers durchsuchen, nur weil ein Fünfzehnjähriger ihn angezeigt hatte? Das konnte ich mir nicht vorstellen. Wenn die Polizei mir glauben sollte, dann musste ich sie zum Schauplatz eines Mords lotsen – man musste ihn auf frischer Tag ertappen und ihm die Dämonenhand in Handschellen legen. Aber wie?
»John, kannst du mir mit der Füllung helfen?« Mom stand am Tisch und hackte Sellerie, während sie nebenbei
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