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Ich bin kein Serienkiller

Ich bin kein Serienkiller

Titel: Ich bin kein Serienkiller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Wells
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gewartet, ehe er jemanden getötet hatte. Das war klug, denn je mehr Zeit er zwischen den Morden verstreichen ließ, desto schwerer war er aufzuspüren, und in der Zwischenzeit beruhigten sich die Einwohner und wurden wieder unvorsichtiger. Dieses Mal hatte er jedoch fast zu lange gezögert. Er hatte es gerade noch geschafft, seine versagenden Organe zu ersetzen und sich zu regenerieren. Noch schlimmer, ein Zeuge hatte ihn beobachtet – ich –, und er hatte mich ziehen lassen müssen. Das kam mir wie eine Schwäche vor, die ich ausnutzen konnte, aber wie?
    Die Angst spielte immer eine Rolle. Er wollte nicht entdeckt werden, aber nun hatte jemand ihn in seiner Dämonengestalt gesehen. Er wusste jetzt, dass derjenige, der ihm die Nachrichten schickte, nicht nur bluffte, und hatte sich entschlossen, den Betreffenden anzugreifen, statt die Leiche des Opfers zu verstecken. Das zeigte, wie verzweifelt er inzwischen war.
    Als ich ihn in jener Nacht beobachtet hatte, hatte ich jedoch nicht nur seine Angst gesehen. Ich hatte einiges darüber herausgefunden, wie der Dämon biologisch funktionierte. Ich hatte schon vorher vermutet, dass sein Körper zerfiel, mir jedoch nicht vorstellen können, wie gebrechlich er tatsächlich war. Wenn er dem Tod so nahe kommen konnte, indem er zu lange wartete, dann brauchte ich ihn nicht einmal zu töten. Ich musste einfach nur verhindern, dass er sich erholte, und ihn allein sterben lassen. Eine Schnittwunde im Bauch oder eine Kugel in der Schulter – solche Wunden konnte er anscheinend binnen Sekunden heilen. Doch seine inneren Organe waren aus irgendeinem Grund anders beschaffen. Wenn sie nicht mehr arbeiteten, dann war es um ihn geschehen. Ich musste nur noch dafür sorgen, dass sie dauerhaft die Arbeit einstellten.
    Mithilfe eines Fotos restaurierten Mom und ich Mr Bowens Gesicht, dann begannen wir mit dem Einbalsamieren. Der Körper war zu stark zerstört, als dass wir auf gewohnte Weise vorgehen konnten. Das machte uns die Arbeit zugleich schwerer und leichter. Einerseits mussten wir nur die Hälfte des Körpers für die Totenfeier herrichten, denn die untere Hälfte und die Organe steckten gut verpackt in zwei großen Plastiktüten, die wir tief in den Sarg schieben konnten, wo niemand sie sah. Ganz egal, wie jemand stirbt, es ist nie gut, in die untere Hälfte des Sargs zu blicken. Die Bestatter bereiten zwar den ganzen Körper für die Beerdigung vor, aber sie richten nur den oberen Teil wirklich ansehnlich her. Wenn Sie etwas nicht sofort sehen können, dann spricht einiges dafür, dass Sie es besser gar nicht sehen sollten.
    Schwierig war natürlich, dass wir die Chemikalien für die Einbalsamierung an drei Stellen einführen mussten: einmal in der rechten Schulter und dann in beiden Beinen. Wir bemühten uns, die großen Blutgefäße zu verschließen, bevor wir das Gerinnungsmittel hineinspülten, um auch die kleineren zu blockieren, und dann mischte Mom den Cocktail aus Farben und Duftstoffen, die das Formaldehyd begleiten sollten. Ich schloss einen Schlauch an, und schließlich konnten wir zusehen, wie das alte Blut und die Gewebsflüssigkeit abliefen.
    Margaret blickte zum Ventilator hoch, der sich träge über uns drehte. »Hoffentlich geht der Motor nicht gerade jetzt kaputt.«
    »Lasst uns vorsichtshalber nach draußen gehen«, schlug Mom vor. »Wir haben uns sowieso eine Pause verdient.« Draußen war Spätnachmittag, und die Temperatur lag schon unter dem Gefrierpunkt. Deshalb suchten wir lieber die Kapelle der Leichenhalle statt den Parkplatz auf und setzten uns auf dünn gepolsterte Bänke, während der Tote nebenan langsam eingelegt wurde.
    »Gute Arbeit, John«, lobte mich Mom. »Du machst das gut.«
    »Ja, wirklich.« Margaret schloss die Augen und massierte sich die Schläfen. »Wir sind alle gut. Solche Kunden bringen mich immer auf den Gedanken, ich sollte alles hinschmeißen und mir eine Badewanne mit Massagedüsen kaufen.«
    Mom und Margaret streckten sich und seufzten. Sie waren müde und erleichtert, dass sie es bald hinter sich hatten, aber ich brannte schon darauf, die nächste Leiche zu verarbeiten. Diese Beschäftigung faszinierte mich – die vielen Einzelheiten, die Fähigkeiten, die man benötigte, die Genauigkeit, mit der man bei jedem Schritt vorgehen musste. Dad hatte mir die Grundbegriffe beigebracht. Als ich zehn war, hatte er mir zuerst die Instrumente gezeigt, ihre Namen genannt und mich ermahnt, mich in Gegenwart der Toten respektvoll zu

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