Ich bin Legende
...
Ja! Die Staubstürme!
Die frei werdenden Sporen wurden von den Stürmen verweht und konnten in den minimalsten Abschürfungen und natürlich auch in den nicht einmal sichtbaren Hautrissen, die der peitschende, stechende Wind verursachte, Zulass finden. Hatten sie sich erst einmal in der Haut eingenistet, konnten sie sich voll entwickeln und durch Teilung vermehren. Im Laufe dieser ständigen Vermehrung wurden die umgebenden Zellen zerstört und die Kanäle mit Bazillen verstopft. Die Zerstörung von Gewebezellen und Bazillen gab schädliche zersetzte Körper frei, die dadurch in das umgebende gesunde Gewebe dringen konnten. Und schließlich würde ihr Gift die Blutbahn erreichen.
Damit war der Prozess komplett.
Und das alles ohne blutäugige Vampire mit spitzen Zähnen, die sich über das Bett einer Schönen beugten; alles ohne Fledermäuse, die mit ihren ledrigen Schwingen gegen die Fenster von Landhäusern schlugen; alles ohne auch nur eine Spur von übernatürlichem Element.
Den Vampir gab es, nur war seine echte Geschichte nie bekannt geworden.
Das in Betracht ziehend, versuchte Neville sich über historische Seuchen zu informieren - an die Pest.
Die Justinianische Pest im sechsten Jahrhundert ähnelte sehr der Seuche von 1975. Historiker schrieben zwar von Beulenpest, aber Robert Neville glaubte eher, dass der Vampir die Seuche ausgelöst hatte.
Nein, nicht der Vampir, denn jetzt sah es ganz so aus, als wäre dieser sich nächtlich herumtreibende, listige Geist nicht mehr als ein Werkzeug des Bazillus, genau wie die lebenden Unschuldigen, die zuerst von ihm heimgesucht worden waren. Der Bazillus war das Ungeheuer - der Bazillus, der sich hinter den Schleiern von Legenden und Aberglauben verbarg und seine Geißel verbreitete, während die Menschheit vor Furcht nicht mehr ein noch aus wusste.
Und was war mit der Pestpandemie im vierzehnten Jahrhundert gewesen, dem »Schwarzen Tod«, der ganz Europa heimgesucht und fünfundzwanzig Millionen Menschen dahingerafft hatte?
Auch Vampire?
Gegen zehn Uhr an diesem Abend schmerzte sein Kopf wie verrückt, und seine Augen brannten. Da erst wurde ihm bewusst, dass er den ganzen Tag nichts gegessen hatte und er hungrig wie ein Wolf war. Er holte sich ein T-Bone-Steak aus dem Gefrierschrank. Während es briet, duschte er sich.
Er zuckte ein wenig zusammen, als ein Stein gegen die Hauswand schlug. Dann grinste er trocken. Er war den ganzen Tag so sehr in seine Arbeit vertieft gewesen, dass er die ums Haus streichende Meute völlig vergessen hatte.
Beim Abfrottieren wurde ihm plötzlich klar, dass er keine Ahnung hatte, welche seiner nächtlichen Hausbelagerer noch physisch lebten, und welche ausschließlich von dem Bazillus aktiviert wurden. Komisch, dachte er, dass ich es nicht weiß. Aber es musste beide Arten unter ihnen geben, denn einige hatte er erschossen und sie waren wieder aufgestanden, während andere sich nicht mehr rührten. Er nahm an, dass die Toten gegen Kugeln gefeit waren.
Das brachte ihn zu einer weiteren Frage: Weshalb kamen die Lebenden zu seinem Haus? Und weshalb nur diese paar und nicht alle aus der ganzen Gegend?
Er leistete sich ein Glas Wein zu seinem Steak und staunte, wie gut ihm alles schmeckte. Gewöhnlich hatte alles fade geschmeckt und er hatte nur gegessen, um bei Kräften zu bleiben. Offenbar hatte er sich heute einen richtigen Appetit erarbeitet.
Außerdem hatte er den ganzen Tag nicht einmal auch nur an einen Drink gedacht. Nicht einmal jetzt hatte er Verlangen nach Whisky. Er schüttelte erstaunt den Kopf. Demnach war offensichtlich, dass er stärkere Getränke nur als Sorgenbrecher trank - und um zu vergessen.
Er hatte das Steak bis zum Knochen gegessen und jetzt nagte er sogar den noch ab. Den Rest des Weines nahm er ins Wohnzimmer mit, wo er den Plattenspieler einschaltete und sich müde, aber zufrieden in seinen Sessel fallen ließ.
Genüsslich lauschte er Ravels Daphnis et Chloe, Suite 1 und 2. Die Lampen hatte er ausgeschaltet, nur das Barlicht verbreitete einen schwachen Schein. Es gelang ihm eine ganze Weile, die Vampire und alles, was mit ihnen zusammenhing, zu vergessen.
Später jedoch konnte er einfach nicht widerstehen - er musste noch einen Blick ins Mikroskop werfen.
Du kleiner Bastard, dachte er fast zärtlich, während er das winzige Protoplasmawesen betrachtete, das auf dem Glasplättchen zappelte. Du heimtückischer kleiner Bastard!
12
Am nächsten Tag ging alles schief.
Die Höhensonne
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