Ich ein Tag sprechen huebsch
der Anerkennung, die sie beim Hinausgehen der Künstlerin an der Tür mitgeben können. Die nahe liegendste Reaktion wäre zweifellos die Frage: »Was in Gottes Namen ist bloß in Sie gefahren, und warum hat niemand Sie aufgehalten?« Da es nicht meine Absicht ist, ihr die Stimmung zu vermiesen, will ich mich auf ein einziges Detail beschränken. Als es endlich soweit ist, nehme ich ihre klebrige Hand und frage, wie sie es hinbekommt, dass die Glasur die ganze Zeit nicht schmilzt. Ein Kommentar, der weder Lob noch Tadel enthält, sondern lediglich das Codewort darstellt, das es mir erlaubt, auf die Straße hinauszutreten und das Leben mit einem neugewonnenen Gefühl von Freiheit zu umarmen. Vor dem Feinkostgeschäft bückt sich ein Mädchen, um ihr Schuhband zuzubinden. Etwas weiter die Straße hinunter sehe ich einen weißhaarigen Mann eine Geschäftskarte in den Abfall werfen. Einen Moment drehe ich mich nach einem aufheulenden Wagenalarm um, bevor ich ungehindert meinen Weg fortsetze. Niemand erwartet von mir, dass ich applaudiere oder nach einem Zusammenhang zwischen dem Schuhband und dem weißhaarigen Mann suche. Der Autoalarm ist keine Metapher, sondern bloß ein nicht einstudierter Lärm. Es ist eine neue, lichtere Welt, in der ich mich frei bewegen und meine erstaunlichen Fähigkeiten erproben kann, mich gehend oder laufend davonzumachen.
Keiner macht den Rooster alle
Kurz nach dem ersten Kennedy-Attentat wurde mein Vater versetzt, so dass die ganze Familie vom Westen des Staates New York nach Raleigh, North Carolina, zog. IBM hatte eine ganze Reihe Mitarbeiter aus dem Norden transferiert, und gemeinsam machten wir uns pausenlos über die neuen Nachbarn und ihre hinterwäldlerische Art lustig. Gerüchten zufolge betrieben die Alteingesessenen Schnapsbrennereien in ihren Geräteschuppen und bezeichneten die Hauskatze als »prima Braten«. Unsere Eltern gewöhnten uns ab, Lehrer und Ladeninhaber mit »Madam« oder »Sir« anzureden. Tabak in Form einer Zigarette war erlaubt, aber sollte irgendwer von uns mit Priem oder Schnupftabak experimentieren, wäre er auf der Stelle enterbt. Mountain Dew war ebenfalls verboten, und schließlich standen wir unter ständiger Kontrolle nach den leisesten Anzeichen eines Raleigh-Akzents. Sagte man auch nur einmal »y'all«, landete man unversehens im Heuhaufen und durfte sich der Zungenküsse einer minderjährigen Ziege erwehren. Genau wie Hafergrütze und Maisbrot war die Kurzform für »you all« ein gefährlicher Schritt auf dem heimtückischen Pfad, der geradewegs zur Baptisten-Kirche führte.
Wir waren vielleicht nicht die reichste Familie der Stadt, aber wir gehörten ganz bestimmt nicht zu denen.
Unsere Familie widerstand allen äußeren Einflüssen, bis 1968 mein Bruder Paul geboren wurde, ein waschechter Bürger North Carolinas, der inzwischen zum engsten Vertrauten und schlimmsten Albtraum meines Vaters geworden ist. Schon in der zweiten Klasse redete er wie die zahnlosen Fischer, die im Albemarle Sound ihre Netze auswarfen. Heute ist er ein erwachsener Mann, der seinem Vater am Telefon Sprüche um die Ohren haut wie: »O Mann, ich hab so lange keine Muschi mehr gesehen, ich würd da Steine nach werfen. «
Mein Bruder hat wie ich eine dünne und hohe Stimme. Anrufer fragen oft, ob der Gatte zu sprechen sei, oder bitten, die Mami ans Telefon zu holen. Der Raleigh-Akzent ist weich und wunderbar fließend, doch mein Bruder spricht einen ganz eigenen Dialekt, der auf seinen berufsmäßigen Umgang mit nuschelnden Landeiern und seine eingefleischte Vorliebe für Hardcore-Rap zurückgeht. Er redet so schnell, dass man sich mehr auf den Kern der Botschaft als auf die einzelnen Wörter konzentriert. Gerade so, als würde man einem Ausländer zuhören und immer nur Scheiße, Schwanzlutscher und Arsch verstehen sowie den Satz: Keiner macht den Rooster alle.
»Rooster« nennt Paul sich immer dann, wenn er sich irgendwie bedroht fühlt. Fragt man ihn, wo der Name herkommt, sagt er nur: »Die Schwanzlutscher glauben vielleicht, die können meine Scheiße ficken, aber den Rooster macht keiner alle. Okay, die können ihn manchmal am Arsch kriegen, die Ärsche, aber Alleemachen können die den Rooster Scheiße noch mal nicht. Du verstehst, was ich meine?«
Oft kommt es mir vor, als seien mein Bruder und ich in zwei verschiedenen Familien groß geworden. Da er elf Jahre jünger als ich ist, ging er auf die High School, als sämtliche seiner Geschwister bereits ausgezogen waren.
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