Ich folge deinem Schatten
Morelands Assistenten die Hand entgegenstreckte und sich vorstellte.
Als er den Namen des Lieferanten auf der Hülle der Stoffrolle erkannte, fragte er: »Ist das alles auch für meine Musterwohnungen bestimmt?«
»Mr. Wilson …«, begann Josh.
»Sparen wir uns die Formalitäten. Nennen Sie mich Kevin.«
»Gut. Kevin, uns ist Folgendes passiert. Ein Hacker muss sich Zugang zu unseren Computern verschafft und die Bestellungen aufgegeben haben. Eine andere Erklärung kann ich Ihnen nicht bieten.«
»Ist Ihnen bewusst, dass an diesem Morgen bislang drei Lieferungen in 701 Carlton Place eingegangen sind?«, fragte Kevin. Als er die erstaunte Miene des jungen Mannes sah, fuhr er fort: »Ich gehe davon aus, dass Sie es nicht gewusst haben.«
»Nein.«
»Josh, ich weiß, dass Zan heute Morgen in Begleitung ihres Anwalts bei der Polizei war. Erwarten Sie sie bald zurück?«
»Keine Ahnung«, sagte Josh und unternahm noch nicht einmal den Versuch, seine Besorgnis zu verbergen.
»Wie lange arbeiten Sie schon für sie?«, fragte Kevin.
»Fast zwei Jahre.«
»Ich habe sie um Entwürfe für die Musterwohnungen gebeten, nachdem ich in einem Haus in Darien, Connecticut, und in einem Apartment in der Fifth Avenue zu Gast gewesen war, zwei Aufträge, die sie jeweils vor etwa einem halben Jahr abgeschlossen hat.«
»Sie meinen das Campion-Haus und die Wohnung der Lyons.«
»Haben Sie daran mitgewirkt?«, fragte Kevin.
Auf was will er hinaus?, fragte sich Josh. »Ja. Natürlich. Zan ist die Designerin, ich bin ihr Assistent. Da beide Aufträge gleichzeitig ausgeführt werden mussten, haben wir uns bei beiden Projekten täglich abgewechselt.«
»Verstehe.« Der Junge gefällt mir, dachte Kevin. Er ist offen und ehrlich. Wie immer Zan Morelands Probleme aussehen, sie hat genau das vorgelegt, was wir für die drei Wohnungen brauchen. Ich will nicht mit Bartley Longe zusammenarbeiten, ich finde seine Vorschläge nicht unbedingt gut. Und ich kann auch keine anderen Designer mehr um Entwürfe bitten. Der Vorstand zetert jetzt schon, weil sich die Fertigstellung der Musterwohnungen so hinzieht.
Hinter ihm ging die Tür auf. Er drehte sich um. Zan Moreland trat in Begleitung eines älteren Mannes ein, der wohl ihr Anwalt sein musste. Zan hatte die Lippen zusammengepresst und versuchte ihr Schluchzen zu unterdrücken. Ihre Augen waren verquollen, Tränen liefen ihr über die Wangen.
Kevin wusste, dass er hier nichts mehr verloren hatte. Er sah zu Josh. »Ich werde Wallington Fabrics Bescheid geben«, sagte er, »und ihnen sagen, dass sie alles abholen und zum Carlton Place schaffen sollen. Falls weitere Lieferungen eintreffen, nehmen Sie nichts mehr an, sondern schicken Sie alles mitsamt den Rechnungen gleich weiter zum Carlton Place. Ich melde mich dann wieder.«
Zan hatte sich von ihm abgewandt. Er wusste, wie peinlich es ihr war, dass er sie in dieser Verfassung gesehen hatte. Ohne mit ihr gesprochen zu haben, verließ er das Büro. Doch als er auf den Aufzug wartete, wurde ihm bewusst, dass er liebend gern zurückgegangen wäre und Zan in den Arm genommen hätte.
Praktikabel und vernünftig, dachte er schmunzelnd, als die Fahrstuhltür aufging und er eintrat. Aber warten wir ab, wenn ich Louise erst erzähle, was ich getan habe.
52
Mit zunehmender Empörung lauschte Melissa Teds Nachricht und seinem Vorschlag, sie solle fünf Millionen Dollar in eine Stiftung zugunsten vermisster Kinder einbringen, statt eine Belohnung in dieser Höhe für Informationen auszusetzen, die zum Auffinden von Matthew führten.
»Das kann doch nicht sein Ernst sein!«, entrüstete sie sich gegenüber Bettina, ihrer persönlichen Assistentin.
Bettina, vierzig Jahre alt, klug, elegant gekleidet, mit samtig schwarzen Haaren, war mit zwanzig Jahren aus Vermont nach New York gekommen, wo sie sich eine Karriere als Rocksängerin erhofft hatte. Relativ schnell war ihr allerdings klar geworden, dass sie mit ihrer leidlich guten Stimme in der Musikwelt nicht weit kommen würde. So war sie die persönliche Assistentin einer Klatschkolumnistin geworden. Melissa, der Bettinas Tüchtigkeit nicht verborgen geblieben war, hatte ihr ein höheres Gehalt geboten, damit sie für sie tätig wurde, und Bettina hatte prompt der Kolumnistin gekündigt.
Bettinas Gefühle aber schwankten mittlerweile zwischen der auch von Ted empfundenen Abscheu vor Melissa und der Freude am Spektakel im Dunstkreis der Reichen und Berühmten. Aber wenn Melissa in guter Stimmung
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