Ich gehoere zu dir
einkehrte. Also legte ich den Kopf wieder auf das weiche Polster.
Irgendwo im Haus klopfte etwas.
»Bailey!«, sagte der Junge scharf.
Na gut, dann war es wohl doch ernst. Ich sprang vom Sessel und sah Ethan erwartungsvoll an. Er legte mir die Hand auf den Kopf, und ich konnte seine Angst spüren. »Hallo?«, rief er. »Ist da jemand?«
Der Junge war wie erstarrt, und auch ich blieb stocksteif stehen, aufs Äußerste alarmiert. Ich hatte keine Ahnung, was hier vorging, aber ich begriff, dass wir in Gefahr waren. Dann klopfte es wieder, und unwillkürlich machte der Junge vor Schreck einen Satz rückwärts. Ich war darauf gefasst, gleich etwas Schreckliches zu erleben, und wild entschlossen, dieser Sache oder Person mutig die Stirn zu bieten. Ich merkte, wie sich meine Nackenhaare aufstellten, und ich knurrte drohend.
Gleichzeitig bewegte sich der Junge geräuschlos durch das Zimmer. In höchster Alarmbereitschaft schlich ich ihm nach und sah, wie er den Waffenschrank zum zweiten Mal an diesem Tag öffnete.
Elf
Der Junge hielt Grandpas Gewehr in den zitternden Händen und ging leise die Treppe rauf, den Flur entlang und dann in Moms Zimmer. Ich folgte ihm dicht auf den Fersen. Ethan schaute in Moms Badezimmer und unter dem Bett nach, und als er die Tür des Wandschranks aufriss, brüllte er: »Ha!«, und erschreckte mich fast zu Tode. Danach untersuchten wir Ethans Zimmer, das von Grandma und Grandpa und das kleine Zimmer mit der Couch, in dem Grandma schlief, wenn Grandpa nachts laute Geräusche von sich gab. Bevor sie abgefahren waren, hatte Grandma in diesem Zimmer an dem Flip gearbeitet und ihn nach Ethans Anweisungen zusammengenäht. Vielleicht hieß es deswegen das Nähzimmer.
Der Junge durchsuchte das ganze Haus und trug dabei Grandpas Gewehr vor sich her. Er rüttelte an jedem Türknauf und prüfte jedes Fenster. Als wir wieder ins Wohnzimmer kamen, sprang ich hoffnungsvoll aufs Grandpas Sessel, aber der Junge wollte das Haus noch einmal durchsuchen. Also stand ich seufzend wieder auf und begleitete ihn. Als Nächstes prüfte er die Duschvorhänge.
Schließlich kehrten wir in Moms Zimmer zurück. Ethan drehte den Türknauf und schob die Frisierkommode vor die Tür. Er stellte das Gewehr neben das Bett und befahl mir, mich zu ihm zu legen. Er kuschelte sich eng an mich, und ich musste daran denken, wie er manchmal zu mir in die Hundehütte gekrochen war, wenn Mom und Dad im Haus herumgeschrien hatten. Jetzt fühlte er sich genauso ängstlich und einsam. Um ihm Mut zu machen, leckte ich ihn unermüdlich ab. Wir zwei waren zusammen – und das war die Hauptsache.
Am nächsten Morgen schliefen wir lange und nahmen dann ein köstliches Frühstück zu uns. Ich fraß die Toastrinden, schleckte die Reste eines Rühreis auf und trank Ethans Milch, als er genug hatte. Was für eine herrliche Art, den Tag zu beginnen! Ethan packte Essen und eine Flasche Wasser in einen Stoffbeutel und steckte das Ganze in seinen Rucksack. Wollten wir einen Spaziergang machen? Das taten wir nämlich manchmal, und Ethan nahm dann immer Sandwiches für uns beide mit. In letzter Zeit hatte unser Weg uns immer zum Haus des Mädchens geführt. Schon am Briefkasten konnte ich ihren Geruch wahrnehmen. Ethan blieb dann stehen und schaute eine Weile zu dem Haus hinüber, dann kehrten wir um und gingen wieder nach Hause zurück.
Die nächtliche Angst war vollkommen vergessen. Der Junge pfiff fröhlich vor sich hin und ging zu Flare auf die Weide. Sie kam angetrottet und fraß die trockenen, geschmacklosen Samen – oder was immer es war, das Ethan ihr in einem Eimer brachte. Ich verstand nicht, was sie daran fand, aber sie fraß diese Dinger oft. Wahrscheinlich war dieses Zeug immer noch besser als Gras, denn davon wurde einem auf die Dauer sowieso nur schlecht, das wusste ich aus Erfahrung.
Dann versetzte der Junge mich in Erstaunen: Er holte eine Decke und einen blanken Ledersattel aus der Scheune und befestigte beides auf Flares Rücken. Er war zwar schon früher ein paarmal auf das Pferd geklettert und hatte sich auf seinen Rücken gesetzt, aber Grandpa war immer dabei und das Gatter an Flares Weidezaun immer fest geschlossen gewesen. Jetzt aber hatte der Junge das Gatter geöffnet, bevor er grinsend aufs Pferd stieg.
»Komm, Bailey, los geht’s!«, rief er zu mir herunter.
Ich folgte ihm mürrisch. Es gefiel mir ganz und gar nicht, dass er Flare plötzlich so viel Aufmerksamkeit schenkte, dass so ein großer Abstand zwischen uns
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