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Ich habe einen Namen: Roman

Ich habe einen Namen: Roman

Titel: Ich habe einen Namen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Hill
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mein eigener Sohn noch lebte,
größer und stärker als ich, und wenn ich sähe, wie er einem anderen Menschen
helfen würde. Ich fragte mich, wie Mamadu wohl aussähe, wenn er nur bei mir
hätte bleiben dürfen. Hätte er überlebt, wäre er heute über zwanzig Jahre alt.
    »Wie heißt du, Sohn?«
    »Jason Wood. Und wie
werden Sie genannt, Ma’am?«
    »Aminata.«
    »Ah … Ah … Ah …
Klingt wie eines der großen Wörter aus der Bibel.«
    »Aminata«, sagte ich
noch einmal, »aber du kannst mich Meena nennen.«
    Daddy Moses fand meinen
Rücken mit seinem Stock und stupste mich ganz sanft an.
    »Für’n Mädchen ohne
Jesus hörst du dich an wie’n Priester«, sagte er. »Deine Worte klingen, als
wären sie vor fünfhundert Jahren gesprochen worden und du würdest sie von
heiligen Wänden lesen. Ich könnte eine Stimme wie deine in meiner Kirche
brauchen. Sie hat Rhythmus und Melodie, Meena, aber wie Jason hier sagen würde:
›Da iss Ih’n ’en komisches Geräusch aus’m Mund geschlüpft.‹ Jetzt haben wir die
Zeit dazu, also erzähl mir von dir und woher du kommst.«
    In den dreizehn
Kolonien hatte ich Herz und Seele unter Fremden sorgsam verschlossen gehalten.
Aber Daddy Moses hatte eine verständnisvolle, besorgte Stimme, die wie ein
Schlüssel in dieses Schloss glitt. Ich spürte, dass er kein Urteil über mich
fällen würde, und vielleicht half es, dass er blind war. Zum ersten Mal, seit
ich meine Freundin Georgia verloren hatte, erzählte ich einem Fremden von
meiner Mutter, meinem Vater und den Dingen, die ich in Bayo von ihnen gelernt
hatte. Ich erzählte, wie wir zur Küste gewandert waren und von der Überquerung
des Meeres. Und während er zwischendurch »Amen« murmelte oder leise rief: »Gott
hat uns auf eine lange Wanderung geschickt und sorgt für unser Überleben«,
erzählte ich weiter, wie ich nach Süd-Carolina gelangt war, was mir dort
widerfahren war und wie ich meinen Sohn Mamadu verloren hatte. Ich wollte in
Daddy Moses nicht die Erwartung wecken, dass ich etwas geben würde, was nicht
in mir war, und so erklärte ich ihm auch, dass ich keine christliche Seele
hätte, obwohl ich ein wenig vom Koran und der Thora kennen würde und oft in der
Bibel gelesen hätte.
    »Wir sind Reisende, wie
du so richtig sagst, und du bist eine der am weitesten Gereisten«, sagte Daddy
Moses.
    »Amen«, rief Jason.
    »Selbst Reisende
brauchen ein Zuhause, und wenn sie keins haben, brauchen sie Zuflucht«, sagte
Daddy Moses. »Meine Frau und ich leben einfach, aber wir wären geehrt, wenn du
bei uns bliebest, bis sich etwas anderes findet.«
    »Danke, Daddy Moses.«
    Sein Stock senkte sich
auf meine Schulter. »Ich dränge dich nicht, Jesus in deine Arme zu schließen«,
sagte er. »Nennen wir deine Seele einfach im Fluss befindlich.«
    »Bei allem, was du für
mich tust, kannst du meine Seele nennen, wie du willst«, sagte ich.
    »Es ändert nichts, wie
wir sie nennen«, sagte Daddy Moses mit einem Lächeln. »Worauf es ankommt, ist,
wohin sie reist und wer sie erhebt.«
    Nachdem wir eine Weile
geschwiegen hatten, kamen wir über einen langen, kieferngesäumten Weg. Nach
rechts schien der Wald dicht und undurchdringlich, links standen weniger Bäume,
und ich konnte zwischen ihnen das kalte graue Wasser der neun Meilen langen
Bucht erkennen.
    Nachdem wir ein gutes
Stück gelaufen waren, fragte ich Daddy Moses: »Wie lang geht man von hier nach
Annapolis Royal?«
    »Wir haben dich noch
nicht mal für den Winter eingekleidet, und schon redest du von Abschied.«
    »Mein Mann ist dort.«
    »Vielleicht können wir
dir helfen, ihn zu finden, wenn der Winter vorbei ist.«
    »Kann ich nicht eher
gehen?«, fragte ich.
    »Da kannst du nicht zu
Fuß hin, Mädchen.«
    »Ich werde so weit
gehen wie nötig, um meinen Mann zu finden.«
    »Zu Fuß schaffst du es
nicht. Ganz sicher nicht im Winter, und nicht mit einem Baby. Du würdest
umkommen. Nach Annapolis Royal musst du ein Schiff nehmen, und wenn es dir wie
uns allen geht, hast du kein Geld für Schiffe. Im Moment geht es darum, dass du
dich und dein Baby am Leben erhältst. Dein Mann wird schon für sich sorgen, bis
ihr zwei euch wiederfindet.«
    Ich wollte ihn fragen,
ob er von der Joseph gehört habe und dass sie in Annapolis angekommen sei, aber er wurde
ungeduldig.
    »Ich weiß nichts über
die Schiffe, die nach Neuschottland kommen und von hier wegfahren«, sagte er.
»Ich kann mich nur um meine eigene Herde kümmern.«
    Als wir
Birchtown erreichten, bedeckte

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