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Ich habe einen Namen: Roman

Ich habe einen Namen: Roman

Titel: Ich habe einen Namen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Hill
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zurechtfinden zu können.
    Wir wurden auf einen
offenen Platz vor einem hölzernen Gebäude getrieben, das sicher die Höhe von
fünf erwachsenen Männern hatte. So viele Menschen waren auf dem Platz, dass ich
dachte, es müsse ein Markt sein. Ich sah mich nach Kürbishaufen, Salz und
Sheanüssen um, aber da waren nur Leute, meine Leute, gefesselt und grob
gekleidet. Chekura wurde von mir weggezogen, ihm folgten Fanta, Biton und die
meisten anderen. Ich rief Chekuras Namen, aber der Lärm der Menge verschluckte
meine Stimme. Die gesunden Gefangenen wurden in einen großen Kreis geschoben,
der Rest von uns kam in eine zweite Gruppe, die Gruppe der Lahmen, Blutenden
und Blinden, die Gruppe derer, denen die Rippen wie halb gebaute Boote aus der
Brust ragten. Jemand stieß mich an. Ich sah mich um. Es war Fomba. Seine Augen
waren glasig, und er stand fürchterlich schief da, den Kopf weit zur Seite
geneigt. Die Toubabu schienen längst gemerkt zu haben, dass mit ihm nicht alles
in Ordnung war.
    »Fomba«, sagte ich. Er
sah mich an und hob die gefesselten Hände, um an einem Fingernagel zu knabbern.
Sein Verstand hatte ihn verlassen, und ich konnte ihn nicht zurückholen. »Steh
nicht so schief. Halte den Kopf aufrecht.« Wenn er etwas wert zu sein schien,
blieben ihm vielleicht Prügel oder Schlimmeres erspart.
    Zwei Toubabu-Männer
standen auf einer Plattform. Die gesunden Gefangenen wurden zu ihnen
hinaufgebracht, einer nach dem anderen. Die meisten ließen Schultern und Kopf
hängen, während die beiden Toubabu laut mir unverständliche Sätze in die Menge
hinausriefen. Wenn das Rufen aufhörte, wurden die Heimatländer von der
Plattform in die Menge hinuntergeführt.
    Biton hielt den Kopf
aufrecht, als er vor die Leute trat. Er hatte einen Schnitt im Kinn und eine
Narbe auf der Backe, aber er stand groß und aufrecht da. Die eingeölte Haut
glänzte. Ich hasste es, dass er da so stehen musste und ihn alle anstarrten.
Ein Toubab hob Bitons Lendenschurz, um sein eingeschrumpeltes Geschlecht zu
begutachten, ließ den Stoff wieder fallen und befühlte Bitons Bizeps. Als die
Rufe lauter wurden, ließ Biton den Blick kreisen und fing meinen Blick auf. Er
öffnete den Mund. Aminata Diallo , sagte er. Durch den Lärm der Menge
konnte ich nichts hören, doch ich sah, wie sich sein Mund bewegte, und wusste,
er sagte meinen Namen.
    Zwei Toubabu stiegen
auf die Plattform, drückten Biton auf die Backen, damit er den Mund öffnete,
und steckten die Finger hinein. Sie befühlten ihn überall und gingen zurück in
die Menge. Der Krach wurde immer lauter, ein Toubab verfiel in einen näselnden
Singsang und hörte gleich wieder auf. Ein Mann in der Menge rief etwas, und der
erste Toubab nahm seinen Gesang wieder auf. Mehr Männer riefen kurze Worte zu
ihm hinauf. Das Lied brach ab und ging weiter, wieder und wieder, bis Biton
schließlich von der Plattform geführt wurde und in der Menge verschwand.
    Einer nach dem anderen
wurden die Gefangenen auf die Plattform gebracht. Ich rief: »Chekura«, als er
vor die Menge trat, doch er konnte mich nicht hören. Ich hoffte, dass er stolz
wie Biton dastehen würde, aber er schaffte es nicht. Er stolperte. Er wich
zurück, als ihm jemand in den Mund griff. Die Toubabu brachen in lautes Lachen
aus, und dann wurde auch Chekura von der Plattform gezogen und verschwand aus
meinem Blick.
    Die Toubabu benutzten
die gleichen Schreibfedern und Tintenfässer, wie sie mir der Medizinmann auf
dem Schiff gezeigt hatte. Ich starrte einen Mann an, der etwas schrieb. Von
links nach rechts, von links nach rechts. Andere machten es genauso. Hatten sie
alle gelernt, rückwärts zu schreiben? Der Mann sah zu mir her, starrte mich
eindringlich an und wandte sich ab. Andere Männer reichten runde Metallstücke
hin und her. Einige davon glitzerten, andere nicht. Sie sahen nicht so schön
aus wie Kaurischnecken und Kupferarmreife.
    Im Schmutz vor meinen Füßen
entdeckte ich ein glitzerndes Stück Metall, etwa dreimal so groß wie mein
Daumennagel. Ich schaffte es, in die Hocke zu gehen und es zwischen die Finger
zu bekommen, wieder aufzustehen und es näher zu betrachten. Ich sah einen
Männerkopf auf einer Seite, den gleichen Männerkopf wie auf den Metallstücken
in der Kabine des Medizinmannes. Ich steckte mir das Ding zwischen die Zähne.
Es war zu hart, um es zu zerbeißen. Vielleicht ließ sich ein Loch
hineinstechen, dann könnte man es sich an ein paar fest verflochtenen
Grashalmen um das Handgelenk oder

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