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Ich habe einen Namen: Roman

Ich habe einen Namen: Roman

Titel: Ich habe einen Namen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Hill
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Sterne. Um die Sprache der Frau zu lernen,
musste ich mich nur neben sie legen.
    Ich träumte, durch
einen Wald im Toubabu-Land zu laufen. Die Toubabu und ihre arbeitenden
Heimatländer brachten mich weit weg von der Stadt. Wir gingen durch den frühen
Morgennebel. Kaninchen sprangen über den Weg. Schnell , dachte ich und sprach in meiner
Vorstellung zu ihnen, schnell oder jemand fängt und
kocht euch . Ich rief einem
Kaninchen, das hochschwanger war, eine Warnung zu, aber statt in den Büschen zu
verschwinden, blieb das Tier stehen, drehte sich zu mir um und starrte mich so
lange eindringlich an, bis ich begriff, dass es die Augen meiner Mutter hatte.
Eine Weile lang hoppelte es vor mir her und zeigte mir den Weg. Ich sei auf dem
richtigen Weg, versicherte es mir. Ich ging weiter, und aus den Toubabu wurden
die Jäger meines Dorfes. Wir hörten Trommeln aus dem Wald, Rufe von den Frauen
des Dorfes, die im Bach ihre Kleider wuschen. Das Kaninchen verwandelte sich in
meine Mutter, die ein getötetes Kaninchen auf dem Kopf trug. Wir hatten gerade
ein Baby auf die Welt gebracht und waren auf dem Nachhauseweg.
    Als ich am nächsten
Morgen aufwachte, ging unser Marsch weiter. Ich sah mich immer wieder nach
Leuten aus meinem Dorf um. Auf dem Weg und auf den Feldern gab es überall
Heimatländer. Ich hätte mir das niemals so vorgestellt. Ich hatte gedacht, ich
würde ganz allein sein, ein Heimatländer in einem Meer von Toubabu. Aber wohin
ich auch sah, kamen schwarze Männer und Frauen an mir vorbei. Einige waren
aneinandergekettet, einige mit Seilen gefesselt. Wieder andere gingen völlig frei
und unbegleitet dahin. Bei so vielen Schwarzen überall – es war klar, dass wir
den Toubabu gegenüber in der Überzahl waren – konnte meine Gefangenschaft nicht
von Dauer sein. Jemand musste kommen und mich retten. Aber was für eine
merkwürdige Welt das hier doch war. Ich verstand sie nicht. Nicht ein einziger
Heimatländer kämpfte oder flüchtete. Sie zeigten überhaupt keinen Widerstand,
und niemand nahm auch nur Notiz von mir.
    Wenn Tala und ich
anderen aus unserer Heimat begegneten, riefen wir ihnen Grüße in unseren
Sprachen zu. Für gewöhnlich antwortete niemand. Aber während unseres ersten
langen Tages erkannte Tala einen Mann. Er war etwa im Alter meines Vaters und
gehörte zu einer Gruppe aneinandergeketteter Heimatländer, die auf einem Feld
neben dem Weg ausruhten. Auch sie wurden von einem Toubab und einem arbeitenden
Heimatländer bewacht. Der Mann war groß und hager. Die kahlen Stellen auf
seinem Kopf, sein hungriger Blick und seine unsichere Haltung, all das machte
klar, dass auch er erst kürzlich mit einem Schiff hier angekommen war. Tala
rief ihm etwas zu, und er rief zurück. Tala achtete nicht weiter auf die
Warnungen unseres eigenen Toubab und rief auch weiter Sätze zu ihm hinüber. Sie
und der Mann schienen Leute aufzuzählen. Wole.
Jussuf. Fatima . Sie riefen
so schnell, wie zwei Menschen nur rufen konnten, und tauschten so viele
Nachrichten wie nur möglich aus. Der Mann rief noch lange hinter Tala her,
während wir uns immer weiter entfernten und ihn irgendwann nicht mehr hören
konnten. Tala antwortete ihm, und als sie seine Stimme endgültig nicht mehr
ausmachen konnte, fiel sie schluchzend zu Boden und unser kleiner Zug musste
anhalten.
    Der Toubab stieg vom
Karren und kam in unsere Richtung, aber ich winkte ihm zu, deutete auf mich und
dann auf Tala. Ich ließ mich auf die Knie sinken und flüsterte ihr sanfte,
tröstende Worte ins Ohr, nahm ihre Hand, zog sie auf die Beine, nickte dem
Toubab zu und schob Tala zurück auf den Weg, der noch vor uns lag. Der Toubab
stieg auf den Karren, und sein Heimatländer-Helfer kam und ging neben uns. Er
trug weiche Lederschuhe, ein ärmelloses Leinenhemd und eine grobe Hose, die er
sich mit einem Strick um die Hüften geknotet hatte. Ich fragte mich, wer er war
und woher er kam.
    »Wohin bringen sie
uns?«, flüsterte ich ihm zu.
    Er sah mich
ausdruckslos an und sagte ein paar unverständliche Worte.
    Die Menschen aus meiner
Heimat waren in diesem neuen Land ständig in Bewegung. Während wir dahinliefen,
sah ich einen Toubab mit einem bepackten Maultier, vier Männern und fünf Frauen
aus meiner Heimat. Die Frauen balancierten Stoffballen auf den Köpfen, hatten
Babys auf den Rücken, und dazu trug jede noch eine Sammlung Töpfe und Pfannen
in den Händen. Die Männer trugen weder etwas auf dem Kopf noch auf dem Rücken,
und doch waren sie

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