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Ich habe einen Namen: Roman

Ich habe einen Namen: Roman

Titel: Ich habe einen Namen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Hill
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verstehen lernen, um unter ihnen zu überleben, und so verschlang ich
Mameds Lektionen. Bald konnte ich so gut lesen wie er, und es gab nicht mehr
viel, was er mir beibringen konnte. Es war eine Enttäuschung zu erfahren, dass
er keine Ahnung hatte, wie ein Mensch nach Afrika zu gelangen vermochte. Er
konnte nur sagen, dass er noch nie von einem Sklaven gehört habe, der nach
Afrika zurückgekehrt sei oder es auch nur versucht habe. Keines seiner Bücher
half mir weiter, trotzdem las ich sie wieder und wieder, wenn ich die Zeit dazu
hatte. Der sicherste Ort zum Lesen war Mameds Hütte. Er hatte nie etwas
dagegen, mich bei sich zu haben. Im Gegenteil, er protestierte, wenn ich mehr
als ein paar Tage verstreichen ließ, ohne abends zu ihm zu kommen, eine Kerze
zu entzünden und mich auf einem seiner Zypressenhocker in ein Buch zu
vertiefen.
    Der größte Vorteil der
Bibel war ihre Länge. Ihre wundervollen Geschichten waren endlos, und was ich
über Abraham und Moses las, erinnerte mich an Papas Erzählungen aus dem Koran.
Nachdem ich den Medizinischen Führer des
Plantagenbesitzers gelesen
hatte, machte ich den Fehler, Georgia zu erzählen, dass er den Aderlass als
Heilmittel für alle möglichen Leiden empfahl. Sie meinte, wenn ich wüsste, was
gut für mich sei, würde ich am besten allen Büchern aus dem Weg gehen. »Der
Buckra-Mann, der das geschrieb’n hat, muss strohdumm sein. ’n Kranken bluten zu
lass’n!« Mamed gab mir auch den Almanach eines Mannes, der sich selbst der Arme Richard nannte und alles darüber wusste, wie man ein Haus vor Schäden durch Donner und
Blitz schützte, aber nicht, wie man von Carolina nach Afrika kam.
    Lesen war wie ein
Tagtraum, der mich in ein geheimes Land führte. Niemand außer mir wusste, wie
er dorthin gelangen konnte, und dieses Land gehörte allein mir. Die Bücher
handelten alle von den Buckra, trotzdem hatte ich bald schon das Gefühl, dass
ich ohne sie nicht mehr sein könnte. Und ich lebte in der Hoffnung, dass ich
eines Tages ein Buch finden würde, das meine Fragen beantwortete. Wo genau lag Afrika, und wie kam ich dorthin zurück? Manchmal schämte ich mich, keine
Antwort darauf zu haben. Wie konnte ich aus einem Land stammen und nicht
wissen, wo es lag?
    Wir waren
mitten in der Indigo-Ernte. Frühmorgens, während Georgia noch schlief, lief ich
aus der Hütte, um mich im Wald zu übergeben. Nach ein paar Tagen legte mir
Georgia auf dem Weg zum Feld die Hand auf den Arm.
    »Was wills’ du tun,
wenn Master Apbee dahinterkommt?«
    »Hinter was?«
    »Dass dich der Kleine
jeden Morgen spucken lässt.«
    Ich hatte es Georgia
erzählen, das Geheimnis aber erst noch ein wenig mehr in mir anschwellen lassen
wollen. Ich platzte vor Stolz und Plänen. Mein eigenes Baby, von meinem eigenen
Mann! Dieses Baby würde ich behalten und lieben. Dieses Baby war nicht von
einem Buckra, sondern von dem Mann, den ich mir selbst ausgesucht hatte: einem
Afrikaner, der wusste, woher ich kam, meine Sprache sprach und mich jeden Monat
besuchte. Chekuras Besuche waren zu einem festen Bestandteil meines Lebens
geworden. Er kam immer bei Vollmond, und wenn es während der Fiebermonate
leichter war, nachts unbemerkt nach St. Helena zu kommen, konnte ich mich fast
völlig auf ihn verlassen. Wir sprachen kaum über die Reise über Land und
Wasser, die uns hergebracht hatte, sondern trösteten uns mit Geschichten aus
unserer frühen Kindheit und mit Beobachtungen aus unserer neuen Welt in
Carolina, auf Fulfulde, oft auch auf Gullah. Und während wir redeten und
lachten und die Stirnen gegeneinander legten, rieb Chekura mir Zehen, Fußsohlen
und Fußrücken mit Öl ein, das er Georgia abgeschwatzt hatte. Erst wollte er
sonst nichts von mir, mit den dahingehenden Monden aber wanderten seine Hände
über meine Füße und dann auch über die Knie hinaus, und das Verlangen erwachte
in mir wie Wasser, das über einen Damm brach. Ich brachte seine hungrigen
Lippen an meine und nahm ihn tief in meinen Körper auf. Wir hatten uns erst ein
paarmal verschlungen, als meine Blutungen aufhörten.
    »Ich wollte es dir
erzählen«, sagte ich zu Georgia.
    »Erzähl mir nichts, was
ich nich schon weiß«, sagte sie. »Erzähl mir nur, was du jezz mit Master Apbee
machs’, wo Sally tot iss und weg.«
    Ich wusste nicht, was
ich darauf antworten sollte.
    »Sag ihm nichts von
Chekura«, meinte sie schließlich.
    »Das weiß er schon«,
sagte ich.
    »Er weiß keine Namen.
Wenn du wills’, dass der Junge lebt, sag

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