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Ich habe einen Namen: Roman

Ich habe einen Namen: Roman

Titel: Ich habe einen Namen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Hill
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unversehens wieder unserem
Unterricht zu.
    Lindo
erklärte mir, dass ich etwas gegen eine andere Sache eintauschen oder mit
Kupfer-, Silber- oder Goldmünzen dafür bezahlen könne. Das verwirrte mich. Ich
verstand nicht, dass jemand lieber mit nutzlosen Metallmünzen als mit fünf
Hühnern oder einem Sack Korn bezahlt wurde. Lindo legte mir ein paar Münzen in
die linke Hand und sagte, ich solle mir vorstellen, in der rechten ein Huhn zu
halten. Und jetzt solle ich mir vorstellen, nur mit diesen beiden Besitztümern
auf den Markt zu gehen. Jemand, der Orangen verkaufe, würde meine Münzen gerne
dafür nehmen, das Huhn nehme aber nur einer, wenn er tatsächlich eins brauche.
    »Und wenn die Münzen
wertlos werden?«, fragte ich. »Ein Huhn wollen die Leute immer haben, aber
werden sie auch immer eine hässliche Metallscheibe wollen? Sie ist nicht schön,
und man kann sie nicht essen. Wenn ich Orangen verkaufte, würde ich das Huhn
nehmen.«
    Lindo klopfte auf den
Tisch. »Wir debattieren hier nicht. Das ist eine Unterrichtsstunde. Bist du
bereit weiterzumachen?«
    Ich nickte.
    Wir kamen zum
Zusammenzählen. Ein Schilling und ein weiterer Schilling waren zwei Schillinge.
Zwei und zwei waren vier. Lindo vermischte die Münzen auf dem Tisch. Mit einem
Schilling konnte ich zehn Eier kaufen, mit fünf Schillingen fünfzig. An sechs
Tagen der Woche lernte ich zwei Stunden morgens rechnen. Nach dem
Zusammenzählen und Abziehen war das Malnehmen und Teilen ziemlich leicht.
Solomon Lindo ließ meine Gedanken galoppieren wie ein Pferd, und ich liebte es,
mit ihm Schritt halten zu müssen.
    Lindos nächste Lektion
umfasste die verschiedenen Geldsorten, die man in Charles Town bekam. Da gab es
die spanische Acht-Reales-Münze, aber es war einfacher, sie einen Dollar zu
nennen. Es war kein englisches Geld, aber Silber war Silber und der Dollar eine
der am weitest verbreiteten Münzen in Carolina. Lindo zeigte mir einen
spanischen Dollar, den sie in Stücke zerschnitten hatten. Die acht dreieckigen
Teile wurden benutzt, weil es nicht genug kleinere Münzen gab. Ein spanischer
Dollar sei sechs Schillinge wert, sagte er und fing an, das Verhältnis zwischen
Pence, Schillingen, Kronen, Pfund und Guineen zu erklären. Es gebe Münzen aus Kupfer
und aus Silber, sagte er, die Guinea sei jedoch aus Gold.
    »Guinea?«, sagte ich.
»So haben Sie auch meine Heimat genannt.«
    Sie hießen so, sagte
er, weil sie aus Gold gemacht seien, das aus Äthiopien komme.
    »Woher?«, fragte ich.
    »Aus deiner Heimat.«
    »Ich dachte, die nennen
Sie Guinea?«
    »Wir haben viele Namen
dafür«, sagte er. »Guinea, Äthiopien, Negritia, Afrika, und alle bedeuten sie
dasselbe.«
    »Und Sie haben Ihre
große Goldmünze nach Afrika benannt?«
    »Die Guinea. Sie ist
einundzwanzig Schillinge wert.«
    Mein Kinn sackte
herunter. Die Buckra holten Gold und Menschen aus meiner Heimat und benutzten
das eine, um für das andere zu bezahlen.
    Mir war für diesen
Morgen nicht mehr nach Lernen zumute, und ich war froh, dass damit mein
Unterricht zu Ende war. Als wir aufstanden, um sein Büro zu verlassen, sagte
Lindo: »Du wirst gutes Geld für mich verdienen, und ich werde dafür sorgen,
dass du gut gekleidet und genährt wirst. Du wirst es besser haben als jeder
einzelne Neger aus deiner Heimat, das verspreche ich dir.«
    »Ich komme aus Bayo,
und ich bin frei geboren«, flüsterte ich.
    Solomon Lindo sah mich
an. »Wie bitte?«
    »Ich bin eine frei
geborene Muslimin.«
    »Und ich bin in England
geboren. Aber hier sind wir in den Kolonien.«
    Ich verschränkte die
Arme vor der Brust.
    Er sah mich eine Minute
lang an und sagte dann: »Du wirst frei genug sein. Du wirst die Freiheit haben,
als Hebamme zusätzlich Geld zu verdienen, und ich werde von meiner Investition
profitieren. Ich habe ein Vermögen für dich ausgegeben.«
    Ich war selbst nicht
wenig überrascht vom Sarkasmus meiner Worte: »Und haben Sie das Vermögen in
Münzen oder Hühnern bezahlt?«
    Lindo war sprachlos.
Vielleicht würde er diese Worte nicht zulassen. Vielleicht wurde ich jetzt
fürchterlich geschlagen. Aber Lindo schüttelte den Kopf, strich sich über den
Bart und lachte. Es war das erste Mal, dass ich etwas gesagt hatte, das einen
weißen Mann lachen ließ. Für mich war es ganz und gar nicht komisch.
    Lindo prüfte
mich mehrere Tage und entschied, dass ich seine Lektionen zu Rechnen und Münzen
gelernt hatte. Darauf bekam ich ein Geschenk von ihm, ein Buch mit dem Titel Gullivers Reisen

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