Ich habe sie getötet: Roman (German Edition)
gemacht.«
»Ja, aber wenn man sich vorstellt, dass jemand, den man kennt, so … so … völlig anders sein kann, als man gedacht hat.«
»Allerdings.« Paul, der hinter Astrids blondem Heiligenschein steht, verdreht die Augen. »Möchtest du was trinken?«
»Ja, verdammt. Habt ihr Rosé?«
»Tut mir leid, nein. Nur Weißen.«
Sie setzt sich an den Tisch, nimmt das Glas und trinkt wie ein Schafscherer nach einer Zehn-Stunden-Schicht. »Wenn ich jetzt so zurückdenke – er hatte eigentlich immer so einen komischen Blick.«
»Komischen Blick?« Paul, der gerade noch mit seinem iPhone beschäftigt war, hebt den Kopf.
Astrid kommt in Fahrt. »Ja, irgendwie unheimlich …«
»Also bitte!«, erwidert Paul spöttisch. »Er wird befragt und nicht angeklagt.« Astrid sieht erst ihn, dann mich verständnislos an.
»Bislang hat die Polizei nicht den Verdacht geäußert, dass er der Täter sein könnte«, erkläre ich.
»Ja, aber er hat sich an dem Abend mit ihr getroffen, und davon hat er uns im Pub nichts erzählt, oder?! Ich meine, ich bin einfach geschockt …«
»Astrid, es ist sehr wichtig, dass du darüber mit niemandem sprichst, verstehst du?« Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, hebt Paul sogar den Zeigefinger. »Jetzt, da Lex nicht kann, bin ich dein Chef – keiner weiß, für wie lange. Also: Sprich mit niemandem über diese Sache, nicht mit Presseleuten und auch nicht mit deinen Freunden, klar?« Sie nickt. Pauls Handy klingelt schon wieder. »Das muss ich mal eben annehmen.« Damit geht er ins Wohnzimmer und lässt uns allein.
»Hast du auf Lex’ Schreibtisch etwas verändert?«
Sie nimmt noch einen kräftigen Schluck Wein und sagt: »Um Gottes willen, nein, dazu hatte ich gar keine Zeit. Ich sollte einiges für ihn erledigen, aber ich habe bei Forwood so wahnsinnig viel zu tun …«
Jetzt genehmige ich mir auch einen Schluck.
»Er wollte, dass ich zu ihr fahre, in ihr Haus.« Obwohl außer uns niemand im Raum ist, beugt sie sich vor und dreht sich sogar noch einmal nach allen Seiten um. »Ich sollte Sachen holen, die sie dort hat, aber das bringe ich nicht fertig. Das ist mir … irgendwie unheimlich …«
»Was für Sachen?«
»Aufzeichnungen, Papierkram, nehme ich an, er hatte noch gar nicht genauer gesagt, was …« Irgendetwas lenkt sie ab. Sie starrt zum Fenster, besser gesagt, nach draußen. »Wer ist das? «
Jetzt steckt Marcus den Kopf zur Hintertür herein und hält den Kricketschläger und ein paar Stäbe hoch. »Die stelle ich in den Schuppen, ja? Der Tau ist nicht so gut für sie.«
»O ja, danke.«
Marcus bleibt stehen und blinzelt scheu wie ein Tier des Waldes zu Astrid herüber. Ich deute so etwas wie ein Vorstellungszeremoniell an. »Äh, Marcus, das ist Astrid, Astrid, Marcus.«
»Spielst du Kricket?«, fragt Astrid und strahlt über das ganze Gesicht.
»Manchmal, mit Josh … und mit meinem Freund Max, na ja, natürlich nicht nur mit Max … mit noch ein paar anderen eben.«
Astrids Strahlen hat gegriffen. Fast tut Marcus mir leid, wie er so von einem Fuß auf den anderen tritt und sich einfach nicht losreißen kann. Er ist gerade mal zweiundzwanzig, Astrid, hab ein Herz.
»Mein Bruder hat in Canberra gespielt. Er hat immer gesagt, man muss den Schläger gut ölen.«
Marcus’ Adamsapfel tanzt auf und ab, und schließlich geht er. Astrid winkt ihm noch einmal zu, dann tritt sie ans Fenster und sieht ihm hinterher, als er den Garten durchquert. »Wow!« Mit empörter Miene dreht sie sich zu mir um. »Das hätte ich nicht von dir gedacht, Kate!«
Ich hebe an zu protestieren, merke dann aber, dass ich dazu gar keine Lust habe. Vielmehr gefällt mir die Vorstellung, dass Astrid so etwas zumindest ansatzweise für möglich hält. »Ist er dein Typ?«
»Und wie! Solche Schultern sieht man bei englischen Männern nicht oft, das kann ich dir sagen.« Sie lockert ihr unbändiges Haar mit den Fingerspitzen. Aus dem Wohnzimmer dringt Pauls erhobene Stimme zu uns herüber.
»Hör mal, vielleicht wäre es ja eine Hilfe, wenn ich zu Melody fahre. Das macht mir gar nichts aus.«
»Wirklich erste Sahne …« Jetzt dreht sie sich zu mir um und lehnt sich rücklings an meine Arbeitsplatte. »Ach, ist schon gut. Ich hab ihm ja gesagt, dass ich es mache.«
»Aber wenn es dir unangenehm ist …« Ich warte einen Moment. »Du wirst doch bestimmt im Büro gebraucht. Morgen ist ein wichtiger Tag.«
»Nein. Das ist meine Aufgabe.« Sie gibt nicht nach.
Ich nicke.
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