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Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter

Titel: Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Bauermeister
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anderen ließen, selbständig geführt hatte, im Übrigen aber bestimmt wurde durch die Anforderungen der Kinder, des Partners und des Alltags. Meist mussten zwei frühe Morgenstunden ab fünf Uhr, ehe die Kinder aufwachten, zum Kreativsein genügen, um den weiteren Tag bis zum Abend durchzustehen. Selten gab es da noch einmal eine Phase störungsfreien Arbeitens; ich konnte zwar tagsüber allerlei schon Geplantes und morgens Ausgedachtes handwerklich angehen, aber ein selbstbestimmtes längeres Alleinsein, bei dem ich frei über meine Zeit verfügen konnte, hatte ich lange nicht mehr erlebt.
    Am Abend vor meiner Abreise ging ich noch einmal über unseren Besitz in Kürten. Wälder, Wiesen, der Bach im Tal, das Blockhaus am Hang. Was für ein Paradies hatten wir uns geschaffen! Nach mancher Tournee oder abgelieferter Auftragsarbeit waren wir mit dem eingenommenen Geld bar auf der Hand zu den Besitzern der umliegenden Wiesen und Wälder gegangen und hatten hier oder dort einen weiteren Streifen zu unserem Musikberg, wie wir ihn nannten, dazugekauft. Aber an diesem Abend war mir klar, dass Stockhausen eine neue Muse brauchte, auch einen neuen Halt. Dieses Paradies konnte ich nicht mehr hüten und beleben. Ich hatte das zuvor schon zweimal so empfunden, doch nun war es endgültig so weit: Ich würde sechs Wochen in Freiheit leben und dann für immer nach Forsbach ziehen.
    In der Nacht vor dem Abflug, ich war immer noch nicht entschieden, ob nach Indien oder in die USA , hatte ich einen Traum: Ich war uralt und lebte doch wieder in unserem Kürtener Haus, das sich in alle Richtungen erweitert hatte. Ein Heer von Musikern, Tänzern und Interpreten bevölkerte das Anwesen. Stockhausen war in meinem Traum schon lange tot, ich selbst möglicherweise auch. Es ging nur noch um Musik. Farben, Licht, Düfte, alles hatte ihr zu dienen. Gesprochen wurde nicht, die Verständigung fand nur musikalisch statt. Erblickte ich eine andere als diese Welt? Eine Zukunft? Eine nur erträumte oder eines Tages zu verwirklichende? Ich glaubte, die Worte »Himmelschöre erfüllen das Paradies« zu vernehmen.
    Dieser Traum beruhigte meine letzten Zweifel über mein Weggehen. Das Ganze würde auch ohne mich weiterlaufen. Meinen Segen würde ich immer dazugeben, ob aus dem Diesseits oder dem Jenseits. Der Berg hatte sich im Traum ja tatsäch lich in einen Musikberg verwandelt, eine Tempeloase, in der ständiger Gottesdienst abgehalten wurde. Der zu verehrende Gott war die Musik, also Schwingung, Frequenz, Klang. Im Anfang war der Klang. Musik war die Sprache aller Lebewesen. Ich musste an unseren Tag mit Bernstein vor drei Jahren denken.
    Urlaub von der Ehe oder – was mir wahrscheinlicher erschien – doch Ende der Ehe? Das galt es nun herauszufinden. Ich wollte meine Gefühle testen, auch feststellen, ob ich wirklich monogam war oder doch mit einem anderen Mann zusammen sein könnte. Stockhausen hatte immer behauptet, Frauen seien von Natur aus monogam. Alles andere sei nur künstlich. Eine von Frauen gelebte Polygamie verstand er lediglich als Reaktion auf die des Mannes, als Racheakt.
    Ich hatte mich im weiteren Verlauf der letzten Nacht in Forsbach für den Flug in die USA entschieden. Ich wusste, eine endgültige Trennung von Karlheinz als Partner könnte ich nur durch einen Geliebten schaffen. Denn dann wäre ich nicht mehr seine idealisierte treue Frau, und er würde leichter von mir loskommen. Nach Auroville könnte ich immer noch fahren, irgendwann einmal, vielleicht sogar mit den Kindern.
    Ich flog nach Cambridge, Massachusetts. Das Wiedersehen mit Philipp war voller Freude, wir verstanden uns auf Anhieb und hatten größte Sympathie füreinander. Schon am nächsten Tag zogen wir gemeinsam herum, spielten zusammen mit Straßenmusikanten, und immer wieder fiel uns etwas Neues ein – wir übten sogar Baseballspielen auf dem Campus der Universität und, ja, verbrachten auch Nächte miteinander.
    Stockhausen war mittlerweile mit Anne zu Orchesterproben in Stockholm. Obwohl wir eigentlich auch sechs Wochen Schweigezeit zwischen uns vereinbart hatten, besorgte er sich über meine New Yorker Galerie die Telefonnummer und rief mich bei Philipp an, als kaum die Hälfte der Zeit vorüber war. Er machte mir Vorhaltungen und sah mich schon in Orgien und Drogenexzesse verwickelt. Da konnte ich ihn beruhigen – nein, ich sei einfach nur bei Philipp. Das löste bei ihm ein Erdbeben aus, der Gedanke, dass ich mich tatsächlich mit einem anderen

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