Ich hänge im Triolengitter - Bauermeister, M: Ich hänge im Triolengitter
aus ihm heraus: Er würde ab jetzt den Haushalt finanzieren, ich bräuchte nur noch aus reiner Schaffensfreude Kunst zu machen. Land hätten wir ja nun reichlich, damit auch ausreichend Acker fläche, um notfalls die ganze Familie ernähren zu können. Es klang so verlockend, er ließ aber den Hauptgrund unserer Entfremdung völlig außer Acht. Hatte er meinen Schmerz über die Abtreibung unseres dritten Kindes nicht wahrhaben wollen? Um Stockhausen in diesem mir so wunden Punkt zu testen, behauptete ich, wahrscheinlich schwanger zu sein, von Philipp. Seine Reaktion war ernüchternd: »Ach, das treiben wir wieder ab.«
Diese Antwort gab den Ausschlag. Er wollte keine weiteren Kinder, keine Wiedergutmachung des Schwangerschaftsabbruchs. Hätte er vorgeschlagen, das Kind gemeinsam großzuziehen – ein solches Angebot hatte ja sogar Benno zehn Jahre zuvor in einem Anflug von Großmut gemacht –, ich wäre sofort mit ihm ins Flugzeug gestiegen und hätte mein gesamtes Malmaterial und meinen Koffer bei Philipp gelassen.
Stockhausen flog also allein zurück nach Deutschland. Ich verbrachte meine angekündigten Wochen mit Philipp, allerdings nicht mehr in einem Bett, und erlebte mit ihm eine intensive Hippiezeit. Wir gingen unter anderem nach Vermont zum Skifahren und nahmen in Washington am Friedensmarsch gegen den Vietnamkrieg teil. Mit vielen Flowerkindern steckten wir dort tanzend den Soldaten, die das Weiße Haus bewachten, Blumen in die Gewehrläufe, bis sie schließlich mit uns tanzten. Ich traute mich aber nicht bis zu den ersten Reihen vor. Dort tummelte sich Philipp.
Ich fragte Philipp, wann er eigentlich für sein Studium Zeit habe. Ach, er schreibe an einem Buch, das solle seine Doktorarbeit werden. In New York besuchte ich mit ihm Jay Marcks, einen gemeinsamen Freund aus der Zeit in Sausalito, Kalifornien. Der schien schockiert – da habe er in Stockhausen und mir endlich einmal ein Künstlerpaar kennengelernt, das zusammenpasse, und nun käme ich mit diesem Irren daher. Er war der Erste, der Philipp so bezeichnete, lange bevor bei ihm dann wirklich eine schwere Psychose festgestellt wurde. »Nein«, meinte Jay, »geh zu Stockhausen zurück, ihr gehört doch zusammen.«
Die sechs Wochen waren fast vorbei, es wurde Sommer. Zum Semesterende war an der Wesleyan University in Connecticut ein Konzert mit Lesung von John Cage angekündigt. Der Saal wurde abgedunkelt, Cage trat ans Pult, eine Lampe beleuchtete das Buch, aus dem er zu lesen begann – das I Ging , das uralte chinesische Buch der Wandlungen mit seinen Orakelsprüchen. Bald begann es im Saal zu rumoren. Manche hatten vielleicht ein Konzert erwartet, manche einen Vortrag, die einen waren Anhänger Cages und seiner Lehre, andere einfach Neugierige. Während manche Zuhörer das Vorlesen für einen reinen Jux hielten, nahmen andere es tiefernst. Typisch Cage! In dem anbrechenden Studententumult sah ich einen jungen Mann nach vorne laufen, der das Kabel der Pultlampe aus der Steckdose zog. Damit war es stockdunkel im Raum, nur einige Notlämpchen über den Ausgängen leuchteten schwach. Ich ging vor, tastete mich an der Wand entlang und stöpselte den Stecker wieder ein. Dann umarmte ich Cage mit den Worten: »Alles wieder okay, jetzt werden wir das Licht für dich bewachen!« »Wo um Himmels willen kommst du denn jetzt her?«, fragte er. Philipp hatte inzwischen vor dem Stecker Stellung bezogen, und zwar im Kopfstand. Die Hälfte der Studenten hatte den Saal verlassen, mit dem Rest entspann sich nun eine Diskussion. Sie begann mit dem bei Cage übli chen Geplänkel. Jemand fragt: »Ist das Kunst?«, darauf er: »Was soll es denn sonst sein?« Ein anderer: »Gibt es keine Musik?«, und nun Cage: »Wenn ihr Musik wollt, dann öffnet das Fenster!« Schließlich brachte ihn aber eine kleine Gruppe hartnäckiger Diskutierer doch zu sehr ernsthaften, interessanten Antworten, die sie zufriedenstellten.
Das war meine letzte Begegnung mit Cage und zugleich das Ende meiner Auszeit. Ich hatte Stockhausen, aber auch den Kindern, meiner Schwester und meinem Schwager versprochen, in jedem Fall nach sechs Wochen zurückzukommen. Daheim zog ich nun endgültig in mein Forsbacher Haus um. Zwar versuchte Karlheinz erneut, mich mit verlockenden Versprechungen für ein Zusammenleben zurückzugewinnen, aber ich widerstand. Nicht weil ich ihn nicht mittlerweile auch wieder als Partner hätte lieben können; aber weitere Kinder lehnte er ab, und ich war aus der langen
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