Ich, Heinrich VIII.
wohlbewahrt, waren unvergänglich. Es wäre ein Leichtes gewesen, mich dort für alle Zeit zu verlieren; es war eine Verlockung, ein Sirenenruf …
Dies war meine Arbeit bei Tag. In der Nacht hatte ich ganz anderes zu tun.
Wie ich schon gesagt habe, brachte ich Sir Thomas Boleyns Tochter Mary aus Frankreich mit, wo sie offensichtlich bei Franz in Diensten gestanden hatte – mit niederen Aufgaben betraut, denn eine feste Mätresse hatte er bereits: Jeanne la Coq, die Gattin eines Rechtsanwalts. In Richmond Palace richtete ich einige Räume zu einer französischen Suite her (wo Vater seine Garderobe aufbewahrt hatte!). »Ich will Frankreich weiter erforschen«, sagte ich, »und auch jene Aspekte des Lebens erfahren, in denen Frankreich angeblich unübertrefflich ist.« Mary musste alles bereithalten, was notwendig war, um ihre Triumphe mit Franz zu wiederholen. Sie würde sie wiederholen, ich würde sie in den Schatten stellen. Ja, so weit trieb ich meine Rivalität mit ihm …
Die Gobelins an den Wänden dieser Gemächer zeigten nicht biblische, sondern klassische Szenen. Meine Tischler kopierten französisches Mobiliar, und es wurden solche Spiegel und Kerzenhalter angebracht, wie sie von der französischen Mode bevorzugt wurden. Wenn man über die Schwelle in die »Pays de Gaul«-Suite kam, war es, als habe man den Kanal überquert.
Mary erwartete mich dienstags und donnerstags abends, zu unserer vereinbarten Stunde. Das an sich war schon französisch. Die Vereinbarung. Denn die Franzosen rühmten sich ihrer Logik und Rationalität, und sie beschränkten ihre Liebesspiele auf zuvor vereinbarte Zusammenkünfte. Man sollte denken, dass diese Sitte das Vergnügen beeinträchtigte, aber indem sie das Vergnügen von der Leidenschaft trennte, erhöhte und erhellte sie es zugleich.
Alle ihre Stellungen hatten sie in einen Katalog geschrieben und mit Namen versehen wie Ballettschritte. Wie pastellen, wie künstlerisch sie alle klangen, wie weit entfernt von allem, was mit Schweiß zu tun hatte, mit Stöhnen und mit Angst.
In Frankreich, so schien es, hatte man die uralte, natürliche Art der Paarung gänzlich aufgegeben. Alles geschah von hinten oder von der Seite. Den Augenblick des Höhepunkts hatten sie in Poesie verwandelt: la petite mort, der kleine Tod. Nicht, wie es im Englischen hieß, der Augenblick der Wahrheit, der großen Pein.
Mary führte mich leichthin durch all diese Übungen. »Die Position für einen König, der erschöpft ist nach einem Tag voller Ratssitzungen«, flüsterte sie und demonstrierte dabei eine gewisse Methode.
»War das seine Lieblingsstellung?« Diese Frau mit Franz zu teilen, exakt die gleichen Akte in exakt demselben Körper zu vollziehen, erfüllte mich mit bebender Erregung. »Hat er dies getan – und dies – und dies – wenn er aus seinen Sitzungen kam?«
Kundig schwamm Mary unter mir und brachte sich gleich mehrmals hintereinander zum petite mort, als wolle sie so einer Antwort aus dem Wege gehen. Auch das war eine französische Mode: Keine amoureuse, die dieses Namens würdig war, begnügte sich mit einem einzigen petite mort. Nein, es mussten mehrere hintereinander sein, je mehr, desto besser.
»Was ist mit Franz?«, wisperte ich beharrlich.
»Es war nie … er war nie …«, murmelte sie pflichtbewusst. »Er war kleiner als Ihr.«
Solche Übungen und Schmeicheleien waren nur der Beginn ihres kunstreichen Repertoires. Es kam noch manches andere, welches aufzuzeichnen die Schicklichkeit mir verbietet – sogar hier.
Aber indem ich das Vergnügen an seine entlegensten Grenzen trieb, erschöpfte ich es auch. Es verwandelte sich in Überdruss. (So hatte Bischof Fisher es in seiner berühmten Predigt vorhergesagt: »Zum Ersten, die Freuden und Vergnügungen des Lebens, mögen sie auch noch so groß sein, haben Überdruss und Ekel in ihrem Gefolge. Keine Speise gibt es, keinen Trank, und wäre er auch köstlich, lieblich und erquickend, daran sich Mann oder Weib auf lange Zeit laben möchte, ohne am Ende dessen müde zu sein …«)
Während alledem mühte ich mich durch das Dickicht der Theologie und suchte meine Assertio Septem Sacramentorum zu vollenden. Und ich entdeckte eine kuriose Ähnlichkeit zwischen diesen beiden Unternehmungen, insofern als die Vervollkommnung in ihrem Gegenstand schließlich alle Lebendigkeit abtötet. Die theologische Haarspalterei und die überfeinerte Technik der Liebeskunst sind Vettern, die ihr jeweiliges Opfer ausbluten lassen.
XXX
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