Ich, Heinrich VIII.
Landreise aufbrechen.
In dieser Nacht verspürte ich ein maßloses Gefühl von Freiheit und Fröhlichkeit. Eines nach dem anderen durchschnitt ich die Bande, die mich an eine tote Vergangenheit fesselten und mich hilflos und zornig machten – wie Wolsey, der Papst, Katharina. Eifrig packte ich für die Reise.
Will:
Man hat Heinrich der Feigheit bezichtigt, weil er die Gewohnheit hatte, seine Opfer niemals wiederzusehen, wenn er einmal entschlossen war, sich ihrer zu entledigen. Im Morgengrauen schlich er sich aus Windsor Castle davon, ohne Katharina Lebewohl zu sagen; er vermied es, Wolsey am Ende noch einmal gegenüberzutreten; er entfernte sich verstohlen vom Mai-Turnier, als Anne ein Taschentuch für jemanden fallen ließ, den er für ihren Liebhaber hielt, und sah sie niemals wieder; er weigerte sich, Catherine Howard oder Cromwell noch einmal zu empfangen, nachdem er von ihren »Verbrechen« erfahren hatte.
Aber wie ich ihn kenne, glaube ich, dass es eher Klugheit war, was ihn so handeln ließ. Katharina und Wolsey erklärten wiederholt, wenn sie nur eine Stunde lang in seiner Gegenwart hätten sein dürfen, wäre es ihnen gelungen, ihn zu einer Sinnesänderung zu bewegen. Nun, und das wusste er; deshalb zog er es vor, sich zu absentieren, auf dass er nicht nachgebe. Im Grunde war er ziemlich sentimental und leicht zu bewegen. Dennoch wusste er, was er tun musste, so schmerzlich es auch sein mochte, und davon wollte er sich nicht abbringen lassen.
Heinrich VIII.:
Wir hatten Juli, und schon im Morgengrauen war es warm. Mir war, als hätte ich Stunden gebraucht, um mich anzukleiden, und als ich nun im Hof stand, bereit, mir die Pferde vorführen zu lassen, wartete ich darauf, dass der Himmel sich erhellte – und dass Anne erschien. Endlich kam sie, gekleidet in ein graues Jagdkleid mit Haube. Sie schenkte mir ein Lächeln und dann ein Gähnen. Anders als ich, hatte sie gut geschlafen.
Unsere kleine Schar – nur ich selbst, Anne, ihr Bruder George, ihr Vetter Francis Bryan und fünf Rossknechte – verließ den gepflasterten Hof, als der Himmel im Osten hell wurde. Das Trappeln der Pferdehufe klang unnatürlich laut in meinen Ohren. Vermutlich befürchtete ich tief in meinem Innern, Katharina könnte es hören.
Als das Schloss weit hinter uns lag, atmete ich leichter. Inzwischen war die Sonne aufgegangen, und ihre Strahlen verhießen uns einen schönen Hochsommertag. Anne ritt an meiner Seite, wie ich es mir seit vier Jahren auf jeder meiner Sommerreisen gewünscht hatte. Die anderen hielten sich diskret zurück.
Als wir unter den grünen Zweigen, schwer jetzt von der vollen Last des Laubes, dahinritten, schaute ich zu ihr hinüber und sah mit Staunen, wie gut ihr das graue Kleid stand. Es gab keine Farbe, die nicht zu ihr passte – ungewöhnlich bei einer Frau.
Als unsere Pferde auf schmalem Pfad einander näher kamen, neigte ich mich zu ihr.
»Wir kehren nicht mehr zurück«, sagte ich.
Sie schaute verwirrt, dann beunruhigt drein. Ich merkte, dass sie an ihre Habe dachte, an ihre Kleider, ihren Schmuck, ihre Bücher, die alle noch in ihren Gemächern zu Windsor lagen.
»Deine Sachen können wir später kommen lassen. Ich habe gewiss mehr zurückgelassen als du!« Dann änderte sich mein Ton. »Jawohl, ich habe mehr zurückgelassen als du. Ich habe Katharina zurückgelassen. Für immer.«
Sie starrte mich ungläubig an. Bedenkenlos redete ich weiter. »Ich werde sie nie wiedersehen! Ich hasse sie! Sie hat getan, was in ihrer Macht stand, um meinen Untergang herbeizuführen. Und trotzdem posiert sie noch immer als mein fürsorglich Weib. Nein, ich werde sie niemals wiedersehen!«
Anne lächelte. »Und wo kehren wir heute Abend ein, mein Geliebter?«
»In Deerfield. Im königlichen Jagdschloss.«
Deerfield war ein ziemlich baufälliges, altersschwaches Gebäude; mein Großvater Edward hatte es sehr geliebt. Mir gefiel es, weil es ganz anders war als die üblichen Schlösser. Es gab dort nur zehn Zimmer, allesamt mit rohem Dielenfußboden und niedriger Balkendecke. Die Böden waren abschüssig, weil die alten Tragbalken darunter sich durchbogen. Ein großer Raum mit einem steinernen Kamin im Erdgeschoss diente als Tafelsaal und als Aufwärmzimmer, aber er war auch ein Ort, wo man sich einfach zusammenfinden und plaudern konnte.
Wenn ich dort war, hatte ich stets die Illusion, ein gewöhnlicher Mann zu sein, ein Mann, der auf die Jagd ging, durch den Wald streifte, ein einfaches Abendessen von
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