Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
Vom Netzwerk:
Hals. Ich scherte mich nicht um den Verschluss, und so riss die Schnur; ich hörte, wie ein paar Steine über den Boden klapperten. Annes Hände fuhren zu ihrem Hals; schon bildete sich ein schmaler roter Striemen, wo ich die Kette zerrissen hatte. Sie war empört; ihre Blicke verfolgten die losen Edelsteine, die über den Teppich hüpften. Schon merkte sie sich die Stellen, wo sie wohl landen würden.
    »Solch mutwillige Zerstörungslust verrät Unreife«, stellte sie fest und sammelte hastig die Perlen und Rubine ein. Gleich darauf stand sie wieder aufrecht, beide Hände zum Überquellen mit Edelsteinen gefüllt. Ich packte ihre Hände und bog sie auf, sodass Gemmen und Perlen von neuem zu Boden prasselten.
    »Solche Hast verrät Habgier«, versetzte ich.
    Sie starrte mich an. Sie war so schön wie eh und je, aber irgendwie hasste und begehrte ich sie jetzt zugleich.
    »Du wirst mich nicht länger hinhalten«, hörte ich mich sagen, und plötzlich war es die Wahrheit. Ich nahm sie und küsste sie. Sie widerstrebte einen Augenblick lang, doch jäh warf sie mir hungrig die Arme um den Hals.
    Noch niemals hatte sie mich so entbrennen lassen. Ich wusste, diese Nacht – diese trostlose Oktobernacht in Frankreich – war die Nacht, nach der ich mich sechs Jahre – ach was, mein Leben lang gesehnt hatte.
    Meine Küsse bedeckten ihr Gesicht, ihr Haar, ihren Hals, ihre Brüste. Ich fühlte, wie sie erbebte. Ich trug sie hinüber zu den Kissen und feinen Pelzen, die vor dem Feuer an der Wand aufgehäuft lagen. Und sogleich war sie ganz mein.
    Ich hatte keinen Gedanken mehr; mein Verstand war gestorben, und an seiner statt war ein mächtiger Quell von Gefühlen. Ich wusste, dass ich sie liebte; ich wusste, dass ich über ein halbes Jahrzehnt auf sie gewartet hatte; ich wusste, dass sie heute hier war und sich mir hingab. Darüber hinaus wusste ich nichts.
    Sie war passiv und doch nicht passiv – fügsam, aber gegenwärtig. Auch sie wusste, was kam, und konnte sich doch nicht dagegen wehren. Sie empfing es, wie sie mich empfing.
    Die Vereinigung auf den Kissen vor dem Feuer war wie eine Flamme, ein Beben der Seele. Und noch während es geschah, hörte ich in irgendeinem entlegenen Winkel meiner selbst eine innere Stimme, die sagte: Du wirst nie wieder derselbe sein. Es ist alles dahin. Aber in diesem Augenblick war mir, als sei nun erst alles da. Ich brach hinauf ins Licht, in die Freiheit, die Euphorie.
    Nachher … es gibt immer ein Nachher. Dieses aber war überraschend sanft. Als ich zur Erde zurückkehrte, fühlte ich Anne neben mir, Anne, die mir in die Augen sah. Ihre Augen wirkten anders als die, die ich noch wenige Minuten zuvor gesehen hatte. Sie streichelte mein Gesicht. Ihr nackter Leib war halb von Pelzen bedeckt, die vor dem Feuer lagen. Nur ihr Antlitz war noch wie vorher, zu beiden Seiten gerahmt von langem Haar, das ihre Brüste notdürftig deckte.
    »Anne … ich habe …«
    »Sschh.« Sanft legte sie mir die Fingerspitzen auf die Lippen, um mich zum Schweigen zu bringen, und dann lehnte sie sich herüber und küsste mich. »Sag nichts.«
    Welch ein Geschenk – die Erlaubnis, nichts zu sagen! Meine Gefühle für mich behalten zu dürfen …
    Lange lagen wir so beieinander, wortlos, bis es kühl wurde und das Feuer fast heruntergebrannt war. Ich raffte mich auf, um ein neues Holzscheit zu holen. Sie streckte eine schmetterlingsgleiche Hand aus und hielt mich fest.
    »Nicht«, sagte sie. »Lass es verlöschen. Es ist spät.«
    Wortlos kleidete ich mich an und ging. Ich konnte nichts sagen, und es gab auch keine Worte, die ich hätte sagen wollen, nicht einmal zu mir selbst.

XLVI
    D ie nächsten paar Tage in Frankreich waren mit trivialen Amtsgeschäften ausgefüllt. Ich kümmerte mich um alles, doch ich war kaum mit den Gedanken dabei. Ich konnte mich nicht dazu bringen, die drei Stunden in Annes Gemach zu vergessen; gleichwohl aber umkreiste ich sie in meinem Geiste, als wären sie etwas zu Entsetzliches und Heiliges, als dass ich es hätte anrühren dürfen. Anne selbst sah ich überhaupt nicht. Selbst auf der Rückfahrt nach Calais blieb sie in ihrer Kajüte unter Deck und sandte mir auch keine Botschaft.
    Als wir wieder in England waren, bekam ich Anne mehrere Tage lang nicht zu Gesicht. Sie hatte sich in ihre Gemächer im Palast zurückgezogen und schien jegliche Gesellschaft wie eine Nonne zu meiden. Ich nahm an, dass sie wegen ihres Verhaltens bei unserem Aufenthalt in Frankreich beschämt und

Weitere Kostenlose Bücher