Ich, Heinrich VIII.
verlegen sei, und so besuchte ich sie schließlich, um ihr zu versichern, dass sie nichts zu befürchten habe.
Sie war schöner denn je, als sie die Tür öffnete und mich anstarrte. Ich hatte ihr Gesicht fast vergessen, so wüst vermischte es sich mit meinen Fantasien. Auf irgendeine wahnwitzige Weise wünschte ich, ich würde sie nie wiedersehen, doch gleichzeitig sehnte ich mich nach ihr.
Sie schaute mich an wie einen Fremden. »Ja?«, fragte sie höflich.
»Ich möchte allein mit dir sprechen.«
Es war früh am Morgen. Sie wusste, ich wollte wirklich nur mit ihr sprechen, nichts weiter.
Ich betrat ihre Gemächer. Hier zu Richmond waren sie recht karg ausgestattet. Ihre schönsten Sachen standen in York Place, ihrer Lieblingsresidenz.
»Ich weiß kaum, wie ich beginnen soll«, begann ich.
»Beginnt mit dem Anfang«, schlug sie vor und lehnte sich entspannt an das Kaminsims. Sie war nicht nervös; ihr graute eben doch nicht vor dieser Begegnung.
»Ja. Mit dem Anfang«, wiederholte ich. »Es ist schwierig …«
»Zwischen zweien, deren Herzen in Eintracht schwingen, sollte gar nichts schwierig sein.« Leichthin nahm sie mir die Worte aus dem Mund.
Ich räusperte mich. Nichts hätte weniger zutreffend sein können. Aber Anne war jung.
»Ich möchte, dass du verstehst«, hob ich von neuem an. »Unser Beisammensein … in Frankreich …«
Jetzt drehte sie sich um; ihr grüner Rock wogte für einen Augenblick wie Meerwasser und kam wieder zur Ruhe. »Nein. Ich verstehe nichts. Nur, dass ich mich töricht benommen habe.«
Ich stürzte zu ihr hin (töricht, wie ich selber war) und fasste sie bei den Schultern. »Meine liebe Anne, ich habe bereits mit den Plänen zu einer großen Feier und einer Messe begonnen – einer der höchsten Adelstitel im Lande soll dir verliehen werden. Du wirst Marquise von Pembroke. Nicht Markgräfin – Marquise!«
Sie sah mich erschrocken an. Alle Farbe wich aus ihrem Gesicht, und sie war noch blasser als zuvor.
»Dann gehörst du zum Adel aus eigenem Recht«, fuhr ich fort. »Der Titel wird dir gehören und für immer in deiner Familie bleiben. Es gibt in England nur noch eine einzige Frau von gleichem Rang, und die ist es nur kraft des Titels ihres Gemahls – die Marquise von Exeter. Du aber teilst den Titel mit niemandem, und es ist ein halb königlicher. Mein Onkel, Jasper Tudor, war Graf von Pembroke.«
Wenn ich erwartet hatte, dass sie sich beeindruckt oder dankbar zeigen würde, so sah ich mich getäuscht. Sie sah nur betrübt aus. »Heißt das, damit soll ich mich begnügen? Ich werde niemals Königin?«
»Aber nein! Diese Zeremonie soll nur dazu dienen, dem Papst Sand in die Augen zu streuen. Denn er wird denken wie du. Und indem er es denkt, wird er die Bulle unterzeichnen, mit der Cranmer – jawohl, dein Cranmer! – zum Erzbischof von Canterbury ernannt wird. Ist das erreicht, sind wir frei! Cranmer ist im Sinne Roms ordnungsgemäß geweiht, sodass die Konservativen zufrieden gestellt sind; Cranmer wird meine Ehe mit Katharina für null und nichtig erklären; Cranmer wird uns verheiraten. Es ist eine List, meine Liebe, nichts weiter!«
Sie stand und sann ein Weilchen. Hinter dem hübschen (wiewohl in letzter Zeit ein wenig angespannten) Gesicht wohnte ein harter, geschmeidig arbeitender Verstand – dem Wolseys ebenbürtig. Fast konnte ich sehen, was sie dachte: Ich habe mich ihm hingegeben. Ich kann bereits schwanger sein. Wenn es, all seinen Versprechungen zum Trotz, niemals dazu kommt, dass ich Königin werde, was dann?
»Und meine Nachkommen?«, fragte sie kühl.
»Im Adelsbrief steht, dass jeder männliche Spross deines Leibes den Titel erben soll. Es steht dort ausdrücklich nicht, dass es ›jeder eheliche männliche Spross‹ sei.«
»Warum nur jeder männliche Spross? Wenn ich den Titel aus eigenem Recht tragen kann, wieso dann nicht auch meine Tochter?«
»Anne – gerade der Umstand, dass eine Tochter in gleichem Maße erbberechtigt ist wie ein Sohn, hat mich doch in meine gegenwärtige Lage gebracht! Begreifst du denn nicht –?«
Mit einem Lächeln und einer knappen Frage fiel sie mir ins Wort. »Und wann soll die Zeremonie stattfinden?«
»In einigen Wochen. In Windsor. Gib nur schon Kleider für dich in Auftrag, Geliebte. Man soll sie der Privatschatulle in Rechnung stellen.«
Besänftigt kam sie zu mir und küsste mich. Nur wenige Augenblicke später hatten wir den ganzen Weg zu den königlichen Gemächern und in meine Schlafkammer
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