Ich, Heinrich VIII.
zu, froh, dieses Gespräch beenden zu können. Wo hatte Cromwell so viel über Medizin gelernt? Während seines »Studiums« in Italien? Im Grunde wusste ich wenig über ihn. Ich fragte mich, ob er wohl mein Beinleiden entdeckt hatte. Und wie sollte es mir gelingen, vor all diesen Männern meinen Verband zu wechseln? Aber vielleicht brauchte ich ihn ja nicht zu wechseln; vielleicht konnte ich ihn über Nacht anbehalten.
Boleyn kehrte zurück, weiß wie ein Toter, und schleifte ein paar Äste herein. Erleichtert stellte er fest, dass es hier endlich warm geworden war.
»Das ist alles, was ich habe finden können«, erklärte er und wies nach draußen. »Der Schnee ist schon so tief, dass man kaum noch sehen kann, wo Holz liegt. Und es wird dunkel.«
»Wärmt Euch«, forderte ich ihn auf; ich merkte, dass ein Unterton von abwehrender Gereiztheit in seinen Worten lag.
Ich ließ ihnen Zeit, die Kälte aus ihrem Mark zu vertreiben, und fragte dann: »Was haben wir an Proviant? Ein jeder soll in seiner Satteltasche nachschauen.«
Wie sich zeigte, hatten wir neun Flaschen Wein und zwei mit dem feurigen Uisgebeatha, außerdem zwölf Brote, fünf große Käse und etliche Portionen von geräuchertem Dörrfleisch. »Genug für ein karges Mahl für eine Nacht«, befand ich.
Über uns raschelten die Fledermäuse. »Den unvermeidlichen Fledermauseintopf schieben wir noch hinaus, so lange es geht«, versprach ich. »Vorerst wollen wir Brot und Käse teilen.«
Mit räuberischem Appetit fielen wir darüber her. Es half nur wenig. So ist es mir schon oft ergangen, und stets frage ich mich, warum. Wenn man großen Hunger hat, bekommt man vom Essen nur noch mehr Appetit.
Die Bäuche geweckt und aufgereizt statt beruhigt, streckten wir uns vor dem Feuer aus. Als ich mich, auf den Ellbogen gestützt, zurücklehnte und mein Bein ausstreckte, fühlte ich das widerlich vertraute Rieseln von Flüssigkeit aus meinem Geschwür. Das Ding eiterte also wieder. Wenn die Männer sich zur Ruhe gelegt hätten, würde ich mich darum kümmern. Später, wenn wir in die Finsternis hinausschlenderten, um uns zu erleichtern, könnte ich das Nötige aus meiner Satteltasche holen. Ich hob mein Fläschchen Uisgebeatha in die Höhe. Vorläufig würde dies den Schmerz betäuben und mir auf wundersame Weise die Zeit vertreiben. Ich nahm einen tiefen Schluck und fühlte, wie eine außergewöhnliche Wärme meine Mundhöhle erfüllte und dann heiß in meinen Magen rann. Nicht lange, und es würde wie ein geheimnisvoller Balsam all meine Adern durchströmen und mir Frieden und Behaglichkeit bringen … und die Ahnung einer besonderen Obhut, die ihre Hand über mich deckte. Ich nahm noch einen Schluck, damit der erste ein wenig Gesellschaft hätte.
»Hier.« Ich reichte Will das Fläschchen. »Du weißt, was es ist und was es vermag.«
Will:
Das wusste ich in der Tat. Seit dem Tag, da Annes wilder irischer Vetter, der Graf von Ormonde, Heinrich drei Fässer von dem Zeug geschickt hatte, trank er davon. Mir gefiel nicht, was es bei ihm bewirkte; aber ich muss gestehen, dass ich in jener Nacht in der Höhle großen Gefallen daran fand, es in mir zu spüren. Und wie ich mich benahm, sah ich ja nicht.
Heinrich VIII.:
»Es ist ein Zaubertrank, kein Zweifel. Die irische Vetternschaft der Königin hat ihn mir geschickt.« Ich reichte die Flasche den anderen weiter, und jeder nahm sie entgegen. Noch ehe Brereton, der Letzte der neun, getrunken hatte, war die Verwandlung in meinem Innern in Gang geraten. Ich fühlte die köstliche, schleichende Leichtigkeit, den göttlichen Frieden …
Plötzlich liebte ich all die Gesichter rings um das Feuer. Nur Chapuys nicht. Und das lag daran, dass er ein spanisches Gesicht hatte. Ich hasste spanische Gesichter – hässliche, gelbe Fratzen. Unserem Herrn sei Dank, Maria hatte eine solche Färbung nicht. Lady Maria … nicht mehr Prinzessin Maria …
»Nehmt alle noch einen Schluck!«, sagte ich und nahm selber den dritten. Die Männer taten es mir nach, und als Brereton mir diesmal die Flasche zurückgab, schwebte ich. »Tinktur der Ekstase«.
Genug jetzt. Ich schraubte den Deckel auf die Flasche – mit übertriebener Sorgfalt, denn meine Finger wollten den Dienst nicht mehr recht tun. »Das Feuer vertreibt die Kälte von außen, und das hier vertreibt sie von innen.«
Draußen heulte der Wind, aber es klang nicht länger Furcht erregend. Und diese Männer hier, die sich mit mir um das Feuer geschart hatten, waren mir
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