Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
Vom Netzwerk:
Name Anne Boleyn Eurem Ohr je wohlgefällig war. Ja, einst war er es gewesen. Einst war ich verhext gewesen. Aber jetzt nicht mehr, jetzt nicht mehr!
    Ich streifte durch die Korridore. Ich verbrachte schlaflose Nächte. Ich betete um Anleitung. Aber das alles war ein Albtraum im Wachen. Tag und Nacht vermengten sich, wie es mir seither nie mehr wiederfahren, nicht einmal in den Klauen der Krankheit. Draußen war die Luft klar und rein, und die Maiglöckchen blühten grün und weiß. Das Gras am südlichen Ufer der Themse war dicht. Der Palast aber war frei von Jahreszeiten, losgelöst von allen anderen Sorgen. Der Palast machte sich seine Jahreszeiten selbst.
    Will:
    Die »Verbrechen« – das heißt, die leiblichen Verbrechen – waren angeblich in den Grafschaften Middlesex und Kent begangen worden, und von dort mussten die Anklagen kommen. Anklagejurys traten zusammen, berieten sich und verkündeten ihre Empfehlungen in jenen hässlichen Maitagen. Das Beweismaterial war so überwältigend, dass allen fünf Männern der Prozess gemacht werden musste.
    Die Gemeinen – Smeaton, Brereton, Weston und Norris – sollten am zwölften Mai in der Halle zu Westminster, diesem für Verdammnis und Festlichkeiten gleichermaßen tauglichen Saal, vor Gericht gestellt werden. Man zerrte sie aus dem Tower und führte sie durch die Londoner Straßen, von der sabbernden Neugier der Einwohner begafft. Das Gericht bestand aus »Beauftragten des Königs«, unter ihnen Thomas Boleyn selbst.
    In der Halle standen sie einer Axt gegenüber, deren Schneide vorläufig abgewandt war, und man beschuldigte sie, sich zur Ermordung des Königs verschworen, die Königin fleischlich erkannt und somit Verrat gegen die Erben des Königs und der Königin und gegen den Frieden des Königs begangen zu haben.
    Smeaton bekannte sich schuldig, was den zweiten Vorwurf anging: Er habe die Königin »widerrechtlich erkannt«. Sämtliche anderen Anklagepunkte wurden von allen fünfen bestritten. Gleichwohl sprach man sie schuldig, und die Axtschneide ward ihnen zugewandt. Schweigend marschierten sie zurück zum Tower.
    Die Hinrichtung wurde für den siebzehnten Mai anberaumt – fünf Tage nach dem Prozess. Bis dahin sollte man sie in den Tower sperren und sich selbst überlassen.
    Es beunruhigte den König, dass nur Smeaton ein Geständnis abgelegt hatte. Ihm wäre es lieber gewesen, sie wären im Verhör alle zusammengebrochen und hätten ihre Schuld zugegeben. Nicht, dass er bei sich an ihrer Schuld irgendwie gezweifelt hätte. »Ich bin davon überzeugt, dass diese nur ein Symbol sind und dass über hundert Männer Verkehr mit ihr gehabt haben«, erklärte er.
    Drei Tage nach der Verhandlung gegen die Höflinge kamen die Boleyns – einzeln – vor Gericht, und zwar in der Halle des Königs in der Umfriedung des Tower. Sechsundzwanzig Peers des Reiches sollten das Urteil über sie fällen. Der Herzog von Norfolk trat unter einem Staatsbaldachin als Vertreter des Königs und Oberster Richter auf. Zur einen Seite saß der Herzog von Suffolk, zur anderen Audley, der Lordkanzler. Unter den Peers war auch Henry Percy, jetzt Graf von Northumberland.
    Mehr als zweitausend Zuschauer drängten sich in der Halle – der Bürgermeister und die Stadträte von London, die Mitglieder der wichtigsten Handwerksgilden, die Höflinge, Botschafter, Händler und Gemeinen, und ich. Unwillkürlich musste ich daran denken, wie öffentlich Annes Ende sein würde, verglichen mit ihrer geheimen Hochzeit. Den König kümmerte es nicht, wenn jeder Gemeine bis in alle scheußlichen Einzelheiten hörte, wie er gehörnt worden war; im Gegenteil, auf eine seltsame Weise lud er sie sogar alle ein, am Quell seiner Schmach zu trinken.
    Anne rauschte in die Halle, so arrogant und anmutig, als führe sie den Vorsitz über all diese Leute, nicht wie jemand, der sich vor ihnen zu verantworten hatte. Noch einmal war sie die Frau, die den König verhext hatte. Offensichtlich gedachte sie, ihre Zaubermittel einzusetzen, wie sie es früher getan hatte.
    Der Herzog verlas die Anklageschriften, die von den Jurys in Kent und Middlesex aufgesetzt worden waren:
    Derweil Lady Anne war Königin von England und Gemahlin unseres Herrn, König Heinrich VIII … mehr als drei Jahre lang … nicht nur missachtend die ausgezeichnete und edle Ehe, die feierlich gelobet zwischen dem genannten Herrn, unserem König, und der Königin selbst, sondern überdies voller Bosheit im Herzen gegen genannten Herrn, unseren

Weitere Kostenlose Bücher