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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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Gestank von Cromwells Niedertracht. Er besudelte sogar diesen Tag. Schnellen Schritts eilte ich, so sehr es mir missfiel, ins Haus, und ich rief nach Culpepper. Er war nirgends zu sehen. Nun, dann musste ein Page genügen. Ich musste Cranmer sehen und ihm unverzüglich berichten, was in der vergangenen Nacht geschehen war. Die Rosen waren vergessen.
    Cranmer hatte den Palast nach der Ratssitzung nicht verlassen, um nach Lambeth zurückzukehren, erfuhr ich von dem Pagen. Stattdessen hatte er sich darangemacht, mit der hohen Geistlichkeit, die anläßlich meiner Erklärung schon einmal bei der Hand war, Bibelübersetzungen und theologische Fragen zu erörtern. Man stelle sich seine Überraschung vor, als ich dort hineinplatzte, wo er mit seinen Amtsbrüdern an einem blank polierten Eichentisch saß. Vor ihnen ausgebreitet lagen sämtliche verfügbaren Übersetzungen der Heiligen Schrift in englischer Sprache: die des ehrwürdigen Beda und der Ketzer Wycliffe und Tyndale, aber auch Coverdales und Matthews Übertragungen. Das Heilige Wort Gottes lag vor ihnen ausgebreitet wie ein Mann auf der Streckbank.
    »Ihr Herren«, sagte ich, als ich mit einer Gebärde der Ehrerbietung gegen die Heilige Schrift in den Raum trat. Die Prälaten sprangen auf, und einiges von dem, was auf ihrem Schoß gelegen hatte, fiel zu Boden. »Ich sehe mit Befriedigung, dass Ihr an einem so schönen Junitag über dem Worte Gottes brütet. Unser Herr wird Euch dafür gewiss himmlischen Lohn spenden.« Ich lächelte. Keiner lächelte zurück. Sie fürchteten, ich könnte sie auf die Probe stellen.
    »Ich bedaure, aber ich muss den Erzbischof von Canterbury für ein Weilchen ausborgen«, erklärte ich und winkte Cranmer. »Ich werde ihn zurückbringen; das verspreche ich.«
    »Ihr mögt schon fortfahren«, sagte er. »Ich bitte Euch, sucht die verschiedenen Wörter für ›Engel‹ in den Auferstehungstexten hervor. Ich wäre Euch sehr dankbar.« Noch immer lächelten sie nicht.
    »Kommt, Thomas«, sagte ich leise und legte ihm den Arm um die Schultern. Ich schob ihn zur Tür hinaus. Draußen ließ ich ihn los. »Verzeiht«, sagte ich. »Aber es geht um eine schmerzliche Angelegenheit.«
    Er schüttelte noch immer den Kopf wie jemand, der zur Unzeit aus einem Traum gerissen worden war. Offen sprach ich erst, als wir in der Sicherheit meines Privatgemaches angelangt waren. Oh, diese kleine eichenholzgetäfelte Kammer – wie gut kannte ich jeden Astring, jede Maserung an ihren Wänden! Wie sehnte ich mich danach, meine Geschäfte anderswo zu erledigen –, aber nirgends sonst war man sicher, denn Crums Spitzel waren überall.
    »Thomas, Cromwell ist ein Verräter. Und er steht im Bunde mit den Ketzern.«
    Der große, stille Kirchenmann mit den hellen Augen antwortete nicht.
    »Ich sage Euch, letzte Nacht habe ich den Beweis bekommen!« Ich erzählte ihm von all meinen wachsenden Zweifeln, meinen Befürchtungen, meiner Unruhe, meinen Ahnungen, von den Berichten und schließlich von den verräterischen Büchern selbst. Noch immer stand Cranmer da wie eine Statue aus dem alten Rom, und das Gewand der Gerechtigkeit und seines Amtes umhüllte ihn wie ein Mantel aus Verstand und Vernunft.
    »Ein Anabaptist und Umstürzler unter uns!«, brachte er schließlich hervor.
    »Genau. Er steht mit ihnen im Bunde seit – ich weiß nicht, seit wann. (Seit damals, als er mir das Scherbet gebracht hatte? Oh, gewiss nicht schon damals! Damals waren wir Freunde gewesen.) »Und durch ihn suchen sie Macht über mein Reich zu erlangen.«
    Cranmer war den Tränen nahe. »Ich habe ihm vertraut, Euer Gnaden. Ihr habt ihm vertraut. Ich glaubte, es sei eine wahre Liebe zu Gott und zu Christus in ihm. Ach, gütiger Herr, wenn man ihm nicht vertrauen kann, weiß ich nicht, wem man am Ende noch vertrauen soll.«
    Worte von göttlicher Inspiration, doch damals achtete ich ihrer nicht weiter, so erregt war ich, so erpicht darauf, Cromwell zu beseitigen.
    Wegen Hochverrats würde man ihn verhaften, jawohl … sobald dieser endlose Tag zu Ende gegangen wäre. Sobald diese verzwickte Geschichte mit Kleve aus der Welt wäre – sofern Anna einwilligte und an ihren Bruder schrieb, was ich ihr aufgetragen –, würde Cromwell für meine Regierungsgeschäfte nicht mehr nötig sein.
    Die Hitze des Tages ließ nach, und die Dämmerung ging der Dunkelheit entgegen, bevor meine beiden ehelichen Botschafter zurückkehrten. Sie waren staubbedeckt und sahen müde aus. Aber sie zeigten keine

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