Ich, Heinrich VIII.
Angst. Das war gut. Das bedeutete, sie waren mit ihrem Auftrag nicht gescheitert. Irgendwo in dem Gewirr von Rollen, mit denen sie behängt waren (und es waren anscheinend mehr, als ein Hirschgeweih Spitzen hatte, so ragten sie in alle Richtungen hervor), befanden sich die ersehnte Unterschrift und das Siegel.
»Nun?« Ich erhob mich von meinem Stuhl.
»Sie war einverstanden, Euer Gnaden«, seufzte Brandon; er zog das eine Papier hervor, auf das es ankam, und reichte es mir.
Ich griff danach und ließ meinen Blick darüber hinweglaufen wie ein springendes Kind, bis ich die benötigte Unterschrift fand, weit unten am unteren Ende: Anne Prinzessin von Kleve.
»Christus sei gepriesen!«, murmelte ich.
Erst jetzt kam es mir in den Sinn, ihnen einen Stuhl zum Sitzen und eine Erfrischung anzubieten. Es war ein zermürbender Tag gewesen, für sie wie für mich. Dankbar ließen sie sich nieder und streckten die staubigen Hände nach Wasserschalen aus, um sie zu waschen. Ein Page war ihnen zu Diensten.
»Die Königin – Lady Anna – hat sehr gelitten«, berichtete Wyatt mit gedämpfter Stimme, während er sich die Hände trocknen ließ.
Das war zu erwarten gewesen. Schließlich liebte sie mich und hatte erwartet, für alle Zeit Königin von England zu bleiben. »Ja. Sie dauert mich«, sagte ich. Und das stimmte. Ich wusste, was es bedeutete, an unerwiderter Liebe zu leiden oder eines Standes im Leben beraubt zu werden, zu dem man sich berufen fühlte.
»Sie fiel in Ohnmacht, als sie uns um die Ecke in ihren Garten kommen sah«, erzählte Brandon.
In Ohnmacht? War es möglich? Nein, absurd! Sie war keine Jungfrau Maria, die empfing, ohne einen Mann zu erkennen. Wohin verirrten sich meine Träume? Aus Liebe war es geschehen, aus verzweifelter Liebe.
»Arme Lady«, murmelte ich.
»Sie glaubte, wir brächten ihr Todesurteil«, fuhr Brandon fort. »Sie glaubte, sie solle verhaftet, vor Gericht gestellt und hingerichtet werden.«
Ich lachte verachtungsvoll.
»Sie hatte offensichtlich Angst, Euer Gnaden. Ihr hattet ihr von Anfang an gezeigt, dass sie Euch missfiel und Eure Gunst nicht hatte, und dann habt Ihr sie fortgeschickt, ohne sie zu begleiten. Sie ist nicht dumm. Ich bin sicher, ihr ist wohl bekannt, wie Ihr Euch bei Anne Boleyn verhalten habt. Trennung, Ungnade – alles wiederholte sich.«
»Nur hatte sie keine Liebhaber!«, schrie ich und fuhr herum. »Nur war sie keine Hexe! Nur plante sie nicht meinen Tod! Ein kleiner Unterschied, meint Ihr nicht auch?«
»Aye, aye«, murmelte Wyatt.
»Um Himmels willen, ja«, setzte Brandon gleich hinzu. »Sie kam auch prompt wieder zu sich.«
Ihre robuste Konstitution würde dafür gesorgt haben, ja.
»Sie war anscheinend ganz entzückt von der Übereinkunft und Euren Bedingungen. Innerhalb einer halben Stunde verwandelte sie sich in die fröhlichste Maid, die ich seit einem Jahr gesehen.«
Entzückt? Fröhlich? Weil sie mich als Gemahl verlor? Ich erinnerte mich an Katharinas Agonie, an ihre beharrlichen Versuche, mich als Gatten zu behalten.
»Sie sendet Euch dies zum Zeichen.« Brandon zog einen samtenen Beutel hervor und nahm ihren Trauring heraus.
»So, so.« Mehr wusste ich nicht zu sagen. Anna war einverstanden. Ich hatte gewonnen.
Ich wies auf das dunkle Fenster. »Morgen schicke ich ihr Blumen aus den Gärten von Hampton«, versprach ich.
»Sie hat hübsche Gärten in Richmond«, sagte Brandon. »Jetzt gehören sie ihr.« Er hob eine Augenbraue. Er kannte mich gut. Aber weshalb musste er so selbstzufrieden aussehen?
Ich zuckte die Achseln. »Es kommt auf die Geste an.«
Es stimmte. Anne hatte eingewilligt und war es zufrieden, sich fortan als meine innig geliebte Schwester zu bezeichnen. Am nächsten Tag sandte sie mir Blumen, und so hatte ich eine Gemahlin verloren und eine Schwester gewonnen. Zwischen den Massen von Gänseblümchen, Iris und Lilien, die sie mir sandte, steckte der Brief an ihren Bruder, den Herzog von Kleve, dem ich meine Billigung geben sollte, ehe er abgesandt werde.
Mein teurer und geliebter Bruder,
empfangt zunächst meine herzlichsten Empfehlungen: sintemalen Ihr, mein teuerster und allergütigster Bruder, Euch die Angelegenheit, die jüngst bestimmt und beschlossen zwischen der Königlichen Majestät von England und mir, einigermaßen werdet zu Herzen nehmen, will ich lieber, dass sie Euch bekannt werde durch mein eigen Bekanntmachung, denn dass Ihr getäuscht werdet durch eitlen Bericht, wo diese etwa fehlte. So hielt ich
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