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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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magere Feier zu Ehren meiner nun erreichten Mannbarkeit gehalten werden. (Im diplomatischen und amtlichen Sprachgebrauch galt man mit vierzehn als Mann; man konnte Dokumente unterzeichnen und eine Frau nehmen und eigenes Vermögen besitzen.)
    Aber ein »Mann« wäre ich erst an meinem eigentlichen Geburtstag, am achtundzwanzigsten Juni. Am siebenundzwanzigsten war ich noch ein Kind, und wie ein Kind konnte man mich behandeln.
    An diesem Abend ließ Vater mich rufen und befahl mir herrisch, mich anzuziehen und mich für einen Ritt nach London bereit zu machen. Er weigerte sich, mir zu eröffnen, wohin es gehen sollte und weshalb wir abends reiten mussten.
    Es war noch dämmrig, als wir aufbrachen; im Juni dauert die Dämmerung lange, und es würde erst gegen zehn ganz dunkel sein. Als wir über die Brücke ritten, herrschte dort ein regerer Verkehr als zur Mittagszeit. Zweistöckige Häuser standen rechts und links, und als sich die Dunkelheit herabsenkte, machten die Leute die Hauptstraße dazwischen zu ihrem Spielplatz. Sie saßen zusammen auf Bänken, und die Kinder spielten oder angelten von der Brücke aus. Und alle schienen einander zu kennen. Das war für mich das Merkwürdigste. So viele waren hier, eine so große Zahl von Familien, und doch waren alle so vertraut miteinander.
    Am Hofe war es anders. Gewiss, es gab dort viele Familien, und oft war der Ehemann beispielsweise Diener in den königlichen Gemächern, die Frau diente der Königin als Kammerzofe, und die Kinder waren Pagen und Ehrenjungfern. Sie hatten das Recht, am Hofe zu wohnen, und taten dies auch zumeist, sodass der Palast wohl an die zweihundert Familien beherbergte. Aber es war keine enge Gemeinschaft, und nie gab es solche Kameradschaft, wie ich sie an diesem Juni-Abend bei den Bewohnern der Brücke sah.
    So ging es durch gewundene Straßen in das Herz der Stadt London. Die Häuser standen dicht an dicht, und jedes musste wohl zwanzig Menschen behausen, nach den Scharen zu schätzen, die nun auf die Straße strömten. Sie feierten das Ende des Arbeitstages und ergötzten sich für wenige Stunden im schwindenden violetten Licht.
    Als wir nach Westen abbogen, an der Pauls-Kathedrale vorbeiritten und die Stadt durch das Tor namens Ludgate verließen, wusste ich plötzlich, wohin wir unterwegs waren. Wir überquerten die kleine Brücke über den stinkend und träge dahinfließenden Fleet River, und bald darauf waren wir da: Am Hause des Bischofs von Salisbury.
    Es war inzwischen fast dunkel. Vater stieg ab und forderte mich auf, es ihm nachzutun. Als wir Seite an Seite vor des Bischofs Tür standen, packte er mich beim Arm und sagte schroff: »Nun wirst du dem Bischof sagen, dass du gekommen bist, um feierlich Einspruch gegen deine Verlobung mit Prinzessin Katharina zu erheben. Du wirst Papiere unterschreiben, in denen es heißt, dass dein Gewissen dich plage. Verstehst du?«
    »Ja«, antwortete ich dumpf. Vater wollte sich also beide Wege offen halten: eine offizielle Verlobung, ein heimlicher Widerruf. Der Mitgift-Streit war nicht beigelegt. Das hatte ich von Brandon gehört. Vor ihm sprachen die Leute offen, und er wiederum erzählte mir, was ich wissen musste.
    Vater gab mir einen Stoß und bedeutete mir, ich solle klopfen. Der Bischof öffnete sofort; offensichtlich war alles längst abgesprochen.
    »Der Prinz leidet arge Gewissenspein durch die Verlobung mit der Witwe seines Bruders«, erklärte Vater. »Er ist gekommen, sein Gewissen zu beruhigen.«
    Der Bischof gab mitfühlendes Gemurmel von sich und führte uns ins Haus. Die Papiere lagen schon ausgebreitet auf seinem Arbeitstisch, säuberlich beschrieben, mit viel Platz am unteren Rand, wo ich unterschreiben sollte.
    »Es quält ihn«, sagte Vater. Er spielte seine Rolle gut.
    »Ah«, sagte der Bischof. »Und was bereitet Euch Kummer, mein Sohn?«
    Vater hatte dies nicht mit mir geprobt. Ich wusste nichts zu sagen, außer der Wahrheit. »Der Gedanke an die Prinzessin im Bette meines Bruders quält mich! Ich kann ihn nicht ertragen!«
    Ja, das stimmte. Sie und Arthur – diese Vorstellung war mir widerlich. Ich wollte sie ganz für mich haben, für mich allein. Aber sie hatte das Lager mit ihm geteilt …
    »Weil es blutschänderisch wäre«, ergänzte der Bischof. »Die Nacktheit deines Bruders zu entblößen, wie die Schrift sagt.«
    »Nein …« Es ging weniger darum, wollte ich ihm sagen, dass Arthur mein Bruder war, als vielmehr darum, dass er ein Mann war – gewesen war. Bei jedem

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