Ich, Heinrich VIII.
unaussprechlichen Dinge sühne, die sie während der Nacht miteinander trieben; sie aber tue alles, was er wolle, so vollständig habe er sie in seiner Macht.
Ich habe den widerwärtigeren unter diesen Gerüchten niemals Glauben geschenkt, aber die Tatsache, dass sie überhaupt die Runde machten, hatte immerhin etwas zu bedeuten. Ich hatte Angst um Katharina, denn ich wusste, so schwer mein eigenes Los war, ihres musste noch um einhundertmal schwerer sein. Ich war doch wenigstens in meinem Heimatland, konnte meine eigene Sprache sprechen und mit meinen Freunden und meinem Vater zusammen sein (so abscheulich er vielleicht manchmal war, er war doch mein Vater). Ich war hier ihr einziger Freund, ihr einziger Beschützer. Ich musste ihr helfen.
Jetzt, da sie am Hofe lebte, in einem benachbarten Flügel, nur ein Stockwerk weit entfernt von den königlichen Gemächern, war es viel leichter, ihr eine Nachricht zukommen zu lassen. Ich hatte inzwischen Freunde, und die Freunde hatten Freunde … Ich war nicht mehr auf die Diener des Königs angewiesen.
Wo sollten wir uns treffen? Darüber dachte ich lange nach. In der Öffentlichkeit durfte es nicht sein. Am besten wäre ein Ort gewesen, der weit weg vom Palast gelegen hätte, in einem Wald oder auf freiem Feld, doch das erforderte zu viel Unterstützung, von Knechten und Pferden und nicht zuletzt vom Wetter. Nein, es musste ein geheimer Ort sein, wo niemand uns sehen würde und wo, wenn man uns doch sähe, keiner von uns beiden kompromittiert werden oder Argwohn erregen würde.
Die königliche Kapelle würde nachmittags verlassen sein. Nach dem Mittag konnte keine Messe mehr gelesen werden, und für die Vesper wäre es noch zu früh. Kein Priester nahm um diese Zeit die Beichte ab, wenn man es nicht eigens vereinbarte. Aber Katharina war als religiös bekannt …
Ich schickte ihr eine Nachricht, in der ich sie bat, um drei Uhr nachmittags in die königliche Kapelle zu kommen, wo ich sie im Beichtstuhl erwarten würde, um ihr bei der Gewissenserforschung zu helfen. Ich unterschrieb mit »T. Wolsey, Königlicher Almosenier«.
Kurz vor drei kam ich in die Kapelle. Sie war klein, wie solche Kapellen es eben sind, aber reich geschmückt. Eine Statue der hl. Margaret stand dort, mit einer juwelenbesetzten Krone und einem Mantel aus purem Gold. Auch der Kelch, die Patene und das Ciborium auf dem Altar waren fein aus Gold geschmiedet.
Der Geruch von Weihrauch verwehte nie ganz aus der geschlossenen kleinen Kapelle. Wenn man die Tür schloss, fiel von außen kein Licht herein; die einzige Beleuchtung kam dann von den Kerzen, die vor den Standbildern brannten. Sie funkelten und flackerten und warfen seltsame Schatten über die holzgeschnitzten Gesichter über ihnen.
Ich hatte noch ein wenig Zeit. Hastig kniete ich vor unserer Lieben Frau nieder und zündete ihr eine Kerze an, und ich bat sie, ihre schützende Hand über mich zu halten. Dann schlüpfte ich in den Beichtstuhl, setzte mich dort auf den Schemel und zog mir eine Kapuze ins Gesicht.
Ich brauchte nicht lange zu warten. Kaum hatte die Uhr im Hof dreimal geschlagen, betrat jemand die Kapelle. Ein Lichtstrahl fiel herein; dann schloss die Tür sich leise. Stoffgeraschel verriet mir, wo die Person sich befand, die jetzt herankam und den Beichtstuhl an der Büßerseite betrat. Ich hielt den Kopf gesenkt, um mein Gesicht zu verbergen. Ich hörte, wie sie neben mir auf die Kniebank sank. Ein kurzes Zögern, dann holte sie leise Atem und begann: »Segne mich, Vater, denn ich habe gesündigt. Meine letzte Beichte war …«
»Halt, Kate! Ich will nicht Eure Beichte hören!«, rief ich erschrocken. Ich zog mir die Kapuze vom Kopf und offenbarte mein Gesicht.
Sie starrte mich entsetzt an; ich sah ihr blasses Gesicht und das große, offene O ihres Mundes. »Heinrich!«, wisperte sie. »Ein Sakrileg …«
»Es ist nicht meine Absicht, das Sakrament zu verunehren. Aber ach, Katharina, ich musste Euch sehen!« Ich streckte die Hand aus und griff nach der ihren. »Drei Jahre! Drei Jahre hat man mir verboten, Euch zu sehen, mit Euch zu sprechen, Euch …«
»Ich … weiß.« Ihre Stimme war leise, und sie sprach mit starkem Akzent. Womöglich hatte sie kaum ein Wort verstanden.
»Und Ihr seid doch meine Verlobte! Ich bin – ich bin verantwortlich für Euch!« Wie ich auf diesen Gedanken verfallen war, kann ich nicht sagen –
Vater hatte mich jedenfalls nicht darauf gebracht. Wahrscheinlich hatte ich es aus den
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