Ich, Heinrich VIII.
Aber ich brauchte sie, und ich fand es nicht mehr so wichtig, dass andere nicht merkten, wie sehr ich sie brauchte. Ich hatte Holbein sogar erlaubt, ein Porträt von mir in Angriff zu nehmen, auf dem ich sie trug und überdies das Zeichen des Alters, einen Stab, umfasst hielt. Einen hübschen geschnitzten Stab, den Niall Mors Vater mir geschenkt hatte. Die Iren … ich musste auch mit dem irischen Gesandten sprechen. Wie hatte ich das vergessen können? Am letzten Donnerstag hatte ich noch daran gedacht und mir eine Notiz gemacht – und wo war die Notiz? So konnte es wirklich nicht weitergehen –
dieses ständige Verlegen und Vergessen …
»Eure Majestät, der Kaiserliche Botschafter«, verkündete mein Page.
»Wir werden ihn empfangen.« Ich ließ mich auf dem Staatsthron unter dem königlichen Baldachin nieder. Sämtliche Formen mussten gewahrt bleiben, denn sonst merkten die Leute, dass etwas nicht stimmte … wie ein Hund, der eine Wunde aufspürte, weil er das Blut roch. Stets einen Verband tragen. Dann können sie nichts wittern, nichts merken, nichts wissen.
Die große, hohe Tür öffnete sich, und Chapuys trat ein. Wie oft hatte er diese Tür schon durchschritten? Hundertmal? Er war oft gekommen, als Katharina noch ein Problem gewesen war und als Maria und ich uns noch nicht miteinander versöhnt hatten. In letzter Zeit hatte er sich viel seltener sehen lassen.
»Eure Majestät.« Er beugte ein Knie. Ich merkte, dass es ihm schwer fiel. Mit den alten, fließenden Bewegungen war es nichts mehr. Die Knie taten ihm weh, das sah ich.
»Mein lieber Kaiserlicher Botschafter.« Ich deutete auf einen gepolsterten Stuhl vor dem Thron. »Bitte setzt Euch zu uns.«
Er erhob sich so mühelos wie möglich und begab sich zu dem bequemen Stuhl. Als er sich darauf niedergelassen hatte, beäugte er mich wachsam. »Eure Majestät haben mich rufen lassen?«
»Ja, Chapuys.« Ich atmete tief ein. »Ihr und ich haben keine Spiegelfechtereien mehr nötig, wir brauchen nicht um den heißen Brei zu gehen. Wir kennen einander schon zu lange. Deshalb lasst uns dies wie zwei ehrliche, raue Männer erörtern. Tatsache ist, dass einer aus Eurer Gemeinde, eingestandenermaßen Spanier, sein Privileg missbraucht hat. Das Privileg, mein Herr Botschafter, bestand darin, dass er als Zeuge bei den Hinrichtungen am … am dreizehnten des vergangenen Februar zugegen sein durfte. Er hat einen Bericht darüber verfasst; aber was noch frevelhafter ist, er hat sich angemaßt, die Geschehnisse zu ›erklären‹. Da er mit Eurer Erlaubnis und mithilfe Eures Einflusses auf das Gelände des Tower gelangt ist, seid Ihr derjenige, den er missbraucht und verraten hat. Denn selbstverständlich muss Euch das Vorrecht, eine solche Erlaubnis zu erteilen, für alle Zukunft entzogen werden.«
Sein kleines Affengesicht starrte mich an. »Oh. Sind denn weitere Hinrichtungen geplant? Es würde mich schmerzen, nicht mehr dabei sein zu dürfen.«
Oh, dieser Spanier machte mich rasend! Schon immer hatte er mich so geärgert!
»Darum geht es nicht.« Ich sprach in ruhigem Ton. Die Tage, da ich explodiert war und alle meine Gedanken, Leidenschaften und Freuden geoffenbart hatte, waren Vergangenheit. Alter Mann. Alter Mann. Ruhiger, beherrschter alter Mann. Nun, es hatte auch seinen Vorteil. »Es geht darum, dass Ihr einem Eurer Landsleute erlaubt habt, so etwas zu tun, noch dazu auf englischem Boden. Dieses Ding« – ich hatte es griffbereit in meiner Aktentasche – »ist voller Lügen.«
»Verstößt es gegen englisches Gesetz, Lügen zu drucken?«, fragte er sanft. »Ich meine, gegen irgendein besonderes Gesetz?«
»Die Druckpresse ist so neu, dass wir noch keine Gelegenheit hatten, Gesetze darüber zu verabschieden! Aber Gentlemen halten sich an bestimmte Verhaltensregeln, an bestimmte Maßstäbe, und die sind auf die Druckpresse ebenso anwendbar wie auf alles andere!« Aber wenn sie es nun nicht waren? Wenn nun alles, was »selbstverständlich« gewesen war, es nicht mehr war? Wenn eine neue Ordnung auch neue Regeln brauchte?
»Als Ihr Euch vom Papsttum lossagtet, gabt Ihr damit ein Beispiel für alles andere.« Er spreizte die Hände. »Es besagte, dass die alten Regeln, die alten Rücksichten nicht mehr galten. Das aber betrifft Könige so gut wie den Heiligen Vater, wisst Ihr.« Er zuckte die Achseln. »Ein gemeiner Bürger hat also einen diffamierenden Bericht geschrieben. In dem neuen Zeitalter, dessen Vorreiter Ihr gewesen seid, wird
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