Ich, Heinrich VIII.
tauchte die Fingerspitzen in das bereitgestellte Weihwasser; sie tat es nicht.
Schweigend gingen wir Seite an Seite die Lange Galerie hinunter. Sie hielt den Kopf gesenkt, und ich sah weiter nur ihre schwarze, röhrenförmige Haube. Ihre Röcke streiften raschelnd über den blanken Fußboden.
»Gott sei mit Euch, Katherine«, sagte ich schließlich.
»Und auch mit Euch«, antwortete sie, aber es klang nicht mechanisch. Sie meinte es ehrlich.
»Hat die Messe Euch angesprochen?«, fragte ich. »Ihr konntet nicht in Eurem Andachtsbuch lesen, und Ihr sagtet, die Kapelle sei zu dunkel. Dennoch war Euer verstorbener Gemahl ein frommer Papstkatholik.«
Papstkatholiken. So nannte ich seit neuestem diejenigen, die glaubten, außerhalb Roms könne es keine Rechtgläubigkeit geben.
»Ich bin nicht mein Gemahl.« Sie sprach mit so leiser Stimme, dass die radikalen Worte kaum vernehmlich waren. »Der Herr Jesus hat gesagt« – und plötzlich hob sie den Kopf und sah mir gerade ins Gesicht –, »dass Haushalte gespalten sein würden. Um Seinetwillen.«
Ihr Antlitz leuchtete. Ihr unauffälliges kleines Gesicht, das im Grunde ohne eigene Schönheit war, war durchdrungen von spiritueller Schönheit.
Ich blieb wie angewurzelt stehen. Das hatte ich noch nie gesehen. Ich, dem doch das Privileg zuteil gewesen war, Schönheit in mannigfacher Form zu sehen, hatte diese Erscheinung, die man spirituelle Schönheit nannte, noch nie erblickt. Ja, ich hatte sie immer für eine Metapher gehalten. Jetzt verschlug sie mir die Sprache.
»Aye«, sagte ich. »Kate.« Ich hob die Hand und schob die hässliche Witwenhaube zurück. Die Sonne strahlte durch die Fenster und schien auf ihr dichtes, rotgoldenes Haar, das flach nach hinten gekämmt war. »Ihr dürft nicht länger Trauer tragen«, sagte ich. »Denn Ihr seid nicht mehr in Trauer, sondern frohlockt mit dem auferstandenen Herrn.«
Gehorsam nahm sie die Haube ab.
Das Essen erwartete uns in meinem Privatgemach; mein privater Esstisch war gedeckt. Ein hellweißes Leintuch war ausgebreitet, und meine goldenen Teller standen darauf.
»Um diese Jahreszeit ist die Auswahl gering.« Bevor die Speisen aufgetragen wurden, leistete ich schon Abbitte.
»Fünf Brote und zwei Fische?« Sie lachte.
»So ungefähr«, gab ich zu.
Das Brot, aus Winterroggen gebacken, war dick und schwer. Das Getränk, aus dem gleichen Korn gebraut, war nahrhaft. Ja, und Karpfen gab es: die universelle Spätwinterspeise.
»Wer kümmert sich um die Karpfenteiche, nachdem die Klöster abgeschafft worden sind?«, erkundigte sie sich sachlich. Es waren ja die Mönche gewesen, die ausgeklügelte Fischzuchtanlagen entwickelt und den Karpfen zu einem festen Bestandteil des winterlichen Speiseplans gemacht hatten.
»Leute in den Dörfern. Aber wir sind auf Karpfen nicht mehr so sehr angewiesen, seit weniger gefastet wird.«
»Eine törichte Papistensitte«, erklärte sie frischweg. »Ich bin froh, dass Ihr vieles davon abgeschafft habt, mein Lord.«
»Aber ich habe nicht genug abgeschafft?« Ich wählte meine Worte mit Vorsicht.
Sie wählte die ihren nicht minder bedachtsam. »Die Dinge schreiten fort. Und das Echte braucht ein Fundament.«
»Was habt Ihr da eigentlich gelesen?«, fragte ich unvermittelt. »Besser gesagt, was habt Ihr zu lesen versucht?« Ich deutete auf ihr Buch.
»Stille Andachten.« Sie reichte mir das Buch. »Einige der Meditationen darin – einige habe ich selbst verfasst.«
Ich warf einen Blick hinein. Schlüsselwörter – »Glaube«, »Schrift«, »Blut«, »Rechtfertigung« – brandmarkten es als protestantisch. »Seht Euch vor, Kate«, warnte ich sanft und gab ihr das Buch zurück.
Bei dem Namen verzog sie das Gesicht. »Niemand hat mich je Kate genannt«, versetzte sie steif.
»Nein? Aber es ist ein froher Name, wie Ihr auch froh seid. Ein junger Name, wie Ihr auch jung seid.« War ich denn der Einzige, der diese Seite je an ihr gesehen hatte? »Aber wenn es Euch lieber ist, werde ich wieder zu ›Lady Parr‹ zurückkehren.«
Sie widersprach mir nicht. »Ihr habt mich eingeladen, Eure Majestät, weil Ihr etwas für mich habt?«
Das Valentinsgeschenk: Ein Kapitel Ovid, seine Abhandlung über die Liebe. Ich hatte geglaubt, es werde ihr Freude machen, den Text zu übersetzen. Jetzt sah ich, wie überaus unangemessen, wie ungehobelt es sein würde.
»Ihr seid mein Valentinsschatz«, sagte ich und überlegte, so schnell ich konnte. »Wir sollten Gaben tauschen, und es war ein
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