Ich, Heinrich VIII.
Versäumnis, dass ich die meine zurückhielt.«
»Ihr wart krank, mein Lord«, erinnerte sie mich rasch.
»Ja, ja. Nun, ich habe hier« – gütiger Jesus, was hatte ich? – »ein Juwel. Einen Rubinring.« Rot. Als Valentinsgabe. Ja, das würde gehen.
»Ich bin in Trauer«, gab sie zu bedenken.
»Wir waren als Christen übereingekommen, dass Ihr es nicht mehr seid.« Ich wühlte in dem Lederbeutel, den ich in meiner Privatschatulle aufbewahrte, nach dem Rubin. »Hier.«
Zögernd nahm sie ihn entgegen. »Er stammt nicht aus einem Schrein?«
»Es ist nicht Beckets Rubin, falls es das ist, was Ihr fürchtet! Ein Rubin lässt sich nicht teilen, ohne dabei seine Rundheit zu verlieren. Das wusstet Ihr doch sicher? Nein, wenn Ihr es denn wissen müsst – es ist der Kindheitsring meiner lieben Schwester Maria. Nehmt ihn und tragt ihn in Unschuld, wie sie es tat.«
Bevor sie die Männer kennen lernte: Ihren Bruder, der sie aus politischen Gründen verheiratete. Einen sabbernden alten ersten Gemahl. Einen habgierigen zweiten Gemahl, der sich wiederverheiratete, bevor die Bäume, die bei ihrem Begräbnis in Blüte standen, Früchte trugen. Der Rubin ihrer Kindheit und ihrer Hoffnungen. Sonderbar, dass eine erwachsene, zweimal verwitwete Frau als einzige von denen, die ich kannte, geeignet sein sollte, ihn zu tragen. Selbst die kleine Elisabeth war ein bisschen zu »alt« dafür.
»Danke«, sagte sie und schob den Ring auf ihren Finger. »Es war sehr freundlich, Euch an die Gabe zu erinnern.«
Und es ist freundlich von dir zu vergessen, dass du mich an diesem grässlichen Abend trösten musstest, dachte ich. Das Vergessen ist ein Akt der Barmherzigkeit – einer, den man oft vernachlässigt.
Die Witwe Parr – nein, Kate – war Barmherzigkeit, Liebe und Licht.
Aber sie war Protestantin!
Bevor sie sich verabschiedete, wühlte sie in der Tasche ihres Mantels und zog einen winzigen Band Psalmen hervor.
»Ich möchte, dass Ihr dies bekommt«, erklärte sie ernsthaft. Auf ihrem Antlitz lag wieder dieser verwandelte Ausdruck, den ich nie aus den Augen verlieren wollte. »Lest«, drängte sie und drückte mir das Büchlein in die Hand. »Ich glaube – und hoffe –, dass meine Übersetzung korrekt ist.«
Dann war sie fort, und ich hatte nur noch ein kleines, schwarzledernes Buch mit Psalmen.
Nur Protestanten machten eigene Übersetzungen!
Als ich so dasaß und durch den Psalter blätterte, fiel mir ein, dass ich in den vergangenen sechs Stunden kein einziges Mal an meinen »Wahnsinn« gedacht hatte. Ihre gelassene Vernunft hatte ihn verbannt, ihn zu einer Absurdität gemacht.
CXIV
F ür den Nachmittag hatte ich alle ausländischen Gesandten zu einer Audienz gebeten. Es war an der Zeit, dass wir die Unklarheiten zwischen uns beseitigten. Besonders verärgert war ich über einen gewissen Spanier, welcher – offenbar auf seine Bekanntschaft mit Chapuys oder auf seinen Einfluss bei demselben bauend – bei Catherines Hinrichtung zugegen gewesen war und sich dann angemaßt hatte, eine »Chronik« darüber zu verfassen, die von Catherines und Culpeppers Romanze handelte, meine Grausamkeit schilderte, und dergleichen mehr. Schon waren an die hundert Exemplare davon gedruckt und machten jetzt die Runde, in London und wohl auch darüber hinaus. Sie waren äußerst abträglich für mich, denn sie zeichneten mich als einen verrückten, bösartigen Trottel.
Jeder Botschafter sollte mich zum Schlag der vollen Stunde besuchen: Chapuys um zwei Uhr, Marillac um drei, der schottische Gesandte, ein Bastard der Stuarts, um vier, und die Kreatur des Papstes um fünf. Danach wollte ich mich mit einem reichlichen Vorrat an Wein in meine Gemächer zurückziehen und zum Abendessen gebackene Neunaugen verspeisen. Ich hatte dem Koch meinen Wunsch bereits übermitteln lassen, denn die Zubereitung von Neunaugen war eine mühselige Angelegenheit – all die Gräten, die entfernt werden mussten …
Ich zog mich um und kleidete mich in mein Audienzgewand. Es war nötig, dass ich immer, immer als König erschien und mich wie ein König benahm. Deshalb das schwere, juwelenbesetzte Wams und der Umhang aus Goldbrokat. Über all das kamen die pelzverbrämten Staatsgewänder, ganz ähnlich denen, die während der Regentschaft meines Vaters in Mode gewesen waren. Sie waren inzwischen das Kennzeichen eines älteren Mannes, eines Mannes, der zusätzlicher Wärme bedurfte. Von mir aus. Es stimmte ja. So lange hatte ich mich geweigert, sie anzulegen.
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