Ich, Heinrich VIII.
ihn für seine hohe Stellung nichts als seine Anständigkeit und seine Vernunft. Und da er nicht mit Rittergeschichten aufgewachsen war, sah er in einem Krieg mit Frankreich nichts als eine lästige Angelegenheit.
»Praktisch denken, weiter nichts«, pflichtete Thomas Wriothesley, Bischof Gardiners Wasserträger, honigsüß bei. »Und ein Krieg ist zu diesem Zeitpunkt unpraktisch. Was können wir dabei schon zu gewinnen hoffen?«
»Dass wir den Franzosen zum Frühstück blutige Zähne verpassen!«, erklärte Henry Howard bebend. Er war in letzter Zeit Gewalt liebend geworden; er hatte sich verändert seit jenen Tagen, da er und mein verstorbener Sohn zusammen in Windsor gelebt, gespielt, geliebt und gedichtet hatten. Jetzt war er jähzornig und unausgeglichen; er schlug Leute auf dem Palastgelände und forderte sie zu Duellen heraus. Seine Hitzköpfigkeit hatte ihn schon einmal zum Abkühlen ins Fleet-Gefängnis geführt, aber offenkundig ohne großen Erfolg. Vielleicht würde eine französische Kanonenkugel sein Mütchen kühlen. »Wollt Ihr Frankreich schonen und ihm ersparen, Eurem neu geprägten Namen die Ehre zu geben, Risley?«
Auf diese Weise machte Howard sich über die französisierte Version des schlichten englischen Namens lustig. Die Geschichte war alt; die Risleys waren zu Wriothesleys geworden, als die Bullens sich in Boleyns verwandelt hatten. Wann würden wir endlich aufhören zu glauben, es sei besser, französisch zu klingen, französisch zu fühlen, französisch auszusehen? Pfui – es war eine Krankheit bei uns. Das war die wahre Franzosenkrankheit!
Risley/Wriothesley war zu gewitzt, als dass er auf den unübersehbaren Köder angebissen hätte. Henry Howard mochte noch so viel vom griechischen und vom Blankvers verstehen, im Umgang mit Menschen war er ein Einfaltspinsel. »Die Franzosen will ich nicht schonen«, versetzte Wriothesley gewandt, »aber törichte Menschenleben wie das Eure. Wir brauchen einen oder zwei Schoßpoeten, jemanden, der in Architektur dilettiert, einen, der das weibische Gehabe der Franzosen nachäfft – und sei es nur als schlechtes Beispiel.«
Howard lief rot an, und er machte Anstalten, nach seinem Schwert zu greifen.
»Die Schotten sind es, gegen die wir kämpfen sollten«, meinte Bischof Gardiner. »Die Schotten, und nur sie allein, versperren Euch den Weg zu Eurem rechtmäßigen Titel König von Großbritannien. Ihr habt Wales, Cornwall und Irland. Nur Schottland ist noch übrig; und ich sähe es gern zermalmt – so.«
Er pflückte eine Zecke von Henry Howards Wams, die dort nach einem üppigen Mahl schläfrig einherspazierte, und zerquetschte sie auf dem Tisch, dass eine Fontäne von rubinrotem Blut unter seiner Handfläche hervorspritzte. Dabei lächelte er milde. »Ein Krieg gegen die Schotten ist ein praktischer Krieg.«
Gardiner. Er war der Intelligenteste in meinem Rat, der Rücksichtsloseste auch; aber kurioserweise ermangelte es ihm an jeglicher persönlichen Schrulle, sodass es mir schwer fällt, ihn zu beschreiben. Kultiviert war er auch nicht; ich konnte mir kaum vorstellen, wie Wolsey oder Cranmer Zecken auf dem Tisch zerquetschten.
»Praktischer wäre es, zuerst Frankreich zu schlagen und Schottland damit für alle Zeit zu kastrieren«, bemerkte ich und winkte einem Diener, er möge den Blutfleck fortwischen.
»›Wer Frankreich will gewinnen, mit Schottland muss beginnen‹«, zitierte Wriothesley. »Ich stimme Bischof Gardiner zu.« Der Schmeichler Wriothesley, stets andere zitierend, ihnen beipflichtend – nie brachte er von sich aus etwas vor.
Sir Geoffrey Blagge, einer meiner Kammerherren, hatte ein hasserfülltes Gedicht über Wriothesley geschrieben:
Von niederträcht’ger Würde, gemeinem, üblem Rang,
Durch falsche Rede, Tücken und Intrigen,
Geprägt von Bosheit und von Grausamkeit,
Ist er in höchste Höhen aufgestiegen.
Es kam noch mehr; er bezichtigte ihn des Verrats und so fort. Aber in Wahrheit zeichnete Blagge ein schmeichelhaftes Porträt; Wriothesley hatte gar nicht genug Fantasie zu so brillanter Bosheit.
Das Blut … es schien sich auszubreiten, dicker zu werden …
»Haben wir vergessen, dass die Franzosen das Christentum verraten haben? Dass der, der einen Pakt mit dem Ungläubigen schließt, selber als ein Ungläubiger zu gelten hat? Darum geht es doch eigentlich!«, fauchte Howard. »Als könnten wir uns aussuchen, ob wir gegen sie kämpfen wollen!«
»Aber man kann sich immer aussuchen, gegen wen man kämpfen
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