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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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Schmerz. Es war jetzt eine solche Leere in meinem Leben, und es gab nichts, sie auszufüllen. Denn mein Abscheu gegen Frauen hatte nicht nachgelassen; es gab keine Frau, nach der ich mich sehnte, die ich auch nur hätte ertragen können. Ich war fertig mit ihnen.
    Aber ich brauchte etwas, das die Leere ausfüllte, jemanden, der mir Gefährte sein konnte. Es war furchtbar, so ganz und gar allein zu sein. Warum starb die Sehnsucht nicht mit dem Menschen, der sie geweckt hatte? Jemand anderen zu beauftragen, diese Sehnsucht zu erfüllen, war grotesk, und es ließ sich nie verwirklichen.
    Den ganzen Mai hindurch saß ich Holbein Modell. Es war ein ungewöhnlich heißer, schwüler Mai; man erstickte, wenn man nicht im Freien war, und das Posieren in meinen schweren, pelzverbrämten Staatsgewändern erforderte die Konstitution eines Ackergauls. Zudem war ich genötigt, die ganze Zeit meine Samtmütze zu tragen, denn ich nutzte die Zeit der Porträtsitzungen für Gespräche und Audienzen. Ich trug jetzt immer eine Mütze, nur nicht nachts, wenn ich endlich meine Bettvorhänge zuziehen konnte. Ich war inzwischen nämlich völlig kahl, und ich wollte mit meiner Glatze nicht in der Öffentlichkeit glänzen. Aber es war so heiß unter der Mütze, als habe sich ein Wiesel auf meinem Kopf zusammengerollt.
    Aber wenn ich zu leiden hatte, dann Holbein nicht minder, denn er musste stundenlang stehen, sich auf jede Einzelheit meines Gewandes konzentrieren und sich außerdem anhand einer zeremoniellen Totenmaske ein Bild von einem vollständigen Menschen machen. Ja, Vaters Wachskopf stand auf einem Ständer auf einem kleinen Tisch zu meiner Rechten. Die Ähnlichkeit war so groß, dass mir zumute war, als sei ich wieder in seiner Gegenwart.

    Gegen Ende des Monats kam, wie ich es halb erwartet hatte, ein neuer kaiserlicher Botschafter, Frans van der Delft, von Karl, um seine Akkreditierung zu präsentieren. Wie sein Name vermuten ließ, war er ein Holländer; er kam aus jenem wunderlichen Lande, wo dauernd Wasser aus dem Boden quoll. Es war aber auch das Land, wo die Mächte des Ketzertums schwärten und wucherten, und wo Karl große Mühe hatte, sich die Loyalität des Volkes zu erhalten.
    Ich empfing ihn an einem stickigen Morgen, als ich am liebsten mit einem leichten Linnenhemd bekleidet an der frischen Luft gewesen wäre. Der Mann machte einen durchaus angenehmen Eindruck mit seinem breiten, flachen Gesicht und seinem dicken Bauch, aber die Kunde, die er brachte, war nicht angenehm. Es gab Schwierigkeiten mit meinem Titel. Karl konnte mir in keinem Vertragsdokument meinen vollen Titel als Oberstes Haupt der Kirche von England zugestehen, noch konnte er mir versprechen, mich zu verteidigen, wenn der Papst sich (nach Franzens Unterwerfung) dazu entschließen sollte, sich gegen mich zu wenden. Kurz, Karl wollte zwar mein Bundesgenosse sein, aber er wollte mich dabei nicht mit meinem richtigen Namen anreden. Und wenn ich das akzeptierte, bedeutete es …
    Oh, es war ein altes Spiel, ein Krieg der Wörter. Wir würden irgendwann einen annehmbaren Weg finden, aber bis dahin verrann der Sommer mit seinem guten Feldzugswetter. »Und wie geht es Eurem Vorgänger, Eustace Chapuys?«, fragte ich.
    »Gut, Eure Majestät. Er ist jetzt bei Kaiser Karl in Innsbruck, aber er will im Herbst in den Süden weiterreisen. Er sendet Euch von Herzen seine Grüße.«
    Also war er wirklich fort. Zu Hause. War er wirklich dort zu Hause, nach all den Jahren? Wie lange ist ein Ort vertraut, wenn man lange Zeit in der Ferne war?
    »Ich lasse ihn auch grüßen. Sagt mir – der Kaiser …«
    In diesem Augenblick hörte ich, wie Holz auf Holz klapperte, und dann ertönte ein Stöhnen. Holbein hatte seine Palette fallen lassen; sie lag mit der Farbenseite nach unten auf dem Fußboden.
    »Das macht nichts«, beruhigte ich ihn. »Nur Eure Mühe beim Mischen der Farben war nun umsonst. Der Fußboden soll Eure Sorge nicht sein.«
    Er kniete murmelnd am Boden und versuchte, die Palette aufzuheben, die dort festklebte. Ich bückte mich, um ihm zu helfen, und schickte mich an, heftig daran zu reißen. Aber zu meiner Überraschung ließ die Palette sich mühelos ablösen; ein Kind hätte sie aufheben können. Holbein nestelte an seinen Pinseln, und seine Hände zitterten.
    Ich sah ihn an. Sein Gesicht war gerötet und verschwitzt. Es war entschieden zu heiß, um heute im Hause zu arbeiten. Innerlich frohlockend sagte ich: »Genug! Wir hören jetzt auf. Es ist grausam,

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