Ich, Heinrich VIII.
Mal war ich zehn gewesen, beim zweiten zwölf, und jetzt war ich siebzehn.
Ich muss mir große Mühe geben, mich dieses Tages zu erinnern, denn das, was später kam, überschattet ihn ganz. Ich war stolz und beharrte darauf, dass Katharina mein Hochzeitsgeschenk trage, eine Kette aus riesigen Perlen, jede so groß wie eine Murmel. Damals wusste ich nicht, dass Perlen ein Symbol für Tränen sind und dass das Volk behauptet, für jede Perle, die eine Braut trägt, wird ihr Gemahl ihr einen Grund zum Weinen geben. Aber ich hätte es nicht geglaubt. Als wir auf die Veranda der Kirche hinaustraten, fielen silbrige Tropfen vom Himmel: ein Sonnenschauer. Noch ein Omen, das in dieselbe Richtung wies … Eine Träne wirst du vergießen für jeden Regentropfen, der an deinem Hochzeitstag fällt. Aber für uns war es, als würden wir mit Weihwasser besprengt: Ein Glückwunsch und ein Segen besonderer Art. Lachend fassten wir einander bei den Händen und liefen über den Hof zum Greenwich Palace, wo das private Hochzeitsessen sein sollte.
Die arme Katharina hatte keine Familie in England, aber das machte nichts, dachte ich, denn von nun an würde ich ihre Familie sein. Meine Großmutter Beaufort war, wenngleich leidend, zugegen, und mein elfjähriger Vetter, Henry Courtenay, Graf von Devon. Mein Quasi-Onkel war gekommen, Arthur Plantagenet, ein leiblicher Sohn Edwards IV . und eine seiner Mätressen; er war ungefähr neun Jahre älter als ich. Andere Familienmitglieder glänzten durch Abwesenheit: Mein Vetter Edmund de la Pole, der Herzog von Suffolk, war immer noch im Tower gefangen, und sein Bruder Richard hatte sich nach Frankreich geflüchtet. Es war eine kleine Tafel.
Aber es ging heiter zu. Großmutter Beauforts Erleichterung stand ihr fast ins Gesicht geschrieben: Ihr Enkel war unangefochten König und hatte sich ein Weib genommen, und die Zukunft der Familie stand nicht länger auf dem Spiel. Jetzt konnte sie sterben, und das tat sie auch drei Wochen später.
Als ich neben Katharina saß, starrte ich sie unwillkürlich dauernd an. Ich konnte nicht fassen, dass sie mein sein sollte. Auch sie konnte den Blick nicht von mir wenden – von dem zehnjährigen Knaben, der ihr Freund gewesen: Nun kein Knabe mehr, sondern ein König.
Aber während ich sie anschaute (die ganze Zeit spielte die Musik, und eine endlose Folge von Speisen wurde aufgetragen), wuchs meine sorgenvolle Unruhe mit jedem Augenblick. Ich wünschte, das Bankett wäre vorüber, und zugleich betete ich, es möge ewig dauern.
Soll ich es bekennen? Ich war noch jungfräulich. Anders als meine Kameraden vom Turnierplatz hatte ich noch nie ein Weib gehabt. Wie hätte es auch geschehen sollen, bewacht und abgesondert, wie ich gelebt hatte, beständig unter den Augen des Königs? Oh, es hatte die üblichen Einladungen von Dienstmägden gegeben. Aber es hatte mich nicht nach ihnen verlangt – vielleicht gerade, weil sie sich so großzügig angeboten hatten. Vielleicht aber auch, weil ich mich nicht getraut hatte, ihnen meinen jungfräulichen Zustand zu offenbaren; ich hatte angenommen, er werde offenkundig sein, und dann werde man in Küche und Wäscherei über mich lachen. Anfangs also war ich einfach zu jung und zu furchtsam gewesen, und nachher, welche Ironie, zu alt.
Und jetzt musste ich mit Katharina ins Bett gehen. Der junge König, gepriesen als ein zweiter Hektor, ein neuer Lancelot und dergleichen mehr, war nicht minder unerfahren als sein älterer, kränklicher Bruder vor ihm. Und es war dieselbe Frau. Ich musste daran denken, wie ich ihn damals mit der fröhlichen Ahnungslosigkeit eines Zehnjährigen für seine Schüchternheit und sein mangelndes Selbstvertrauen verachtet hatte.
Wir waren allein im Schlafgemach. Das ganze erniedrigende Hofritual, mit dem »das Paar zu Bett gebracht« wurde, war ordnungsgemäß absolviert worden. Unsere Freunde und Diener waren eigens erschienen, um uns feierlich zu entkleiden (jeweils hinter einem Wandschirm verborgen), und die meinen hatten mich umdrängt, obszöne Späße gemacht und Hinweise gegeben. Ich hatte unaufhörlich Wein getrunken. Brandon zwinkerte und bedeckte meinen Becher mit der flachen Hand und sagte: »Genug davon, Euer Gnaden. Ihr kennt das Sprichwort: ›Schau nicht zu tief ins Glas, darin der Wein so rot, sonst beißt er dich am End wie eine Natter und bringt dir arge Not.‹« Hastig stellte ich den Weinbecher ab, und alle lachten laut.
Hinter dem anderen Schirm war Katharinas spanische Zofe
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