Ich, Heinrich VIII.
Alten zu bleiben, aber die innere Substanz ändert sich völlig.
Harry trug die Bürde des Königseins mühelos und voll prächtiger Überzeugung. Welchen Preis er dafür als Mensch zu zahlen hatte, wird deutlich, wenn man sein Tagebuch weiterliest.
Heinrich VIII.:
Manchmal kam ich mir vor wie der römische Hauptmann im Evangelium, der zu Unserem Herrn sagte: »Auch ich habe Soldaten unter mir, und sage ich zu diesem: Gehe, so geht er, und zu jenem: Komm, so kommt er, und zu meinem Knecht: Tue dies, so tut er es.« Es stieg mir zu Kopfe, dieses Gefühl, wie dieser Centurio meine Befehle erteilen zu können, denen die Menschen gehorchten.
Aber ich merkte bald, dass dies zwei Seiten hat. Ja, ich konnte Männern und Frauen Befehle erteilen. Aber anders als bei dem Centurio in der Schrift war bei mir, wie ich herausfand, jede Unternehmung von einem Ritual umgeben, das mich einkerkerte und meine Bewegungen verlangsamte, bis sie zäh waren wie in einem Traum. War ich vielleicht hungrig und forderte auch nur etwas so Einfaches wie Brot und Ale, so berührte dies den Stolz und die Privilegien von etwa zehn Personen, die alle aufeinander eifersüchtig waren. Der Bote durfte das Tablett nicht tragen, denn dies war Aufgabe des haushofmeisterlichen Speisenträgers, der aber wiederum das Privatgemach nicht betreten durfte, sondern das Tablett einem Hofbeamten übergeben musste, der es seinerseits weiterreichte an den … Man erkennt das Problem. Statt jemandem zu befehlen: Geh, oder: Komm, verzichtete ich auf so manches, statt mich diesem schwerfälligen Ritual zu unterwerfen.
Warum unterwarf ich mich ihm überhaupt? Weil ich den wahren Zweck dieses Systems rasch erkannte: Es schirmte mich vor den endlosen Forderungen Vorteilssuchender und Bittsteller ab. Die lange Befehlskette zwischen mir und meinen Bediensteten umspann mich mit einem engmaschigen Netz, und wenn ich nicht hinauskonnte, so konnte auch keiner herein.
Denn wann immer ich die königlichen Gemächer verließ, überfielen mich Schwärme von Leuten, die etwas von mir wollten. Eine Bestallung für einen Vetter. Eine günstige Entscheidung, bitte sehr, vom Anwalt des Hofes, der einen Fall zu begutachten hatte. Freilich, sie bedrängten mich nicht körperlich; sie waren feinfühliger und in Seide gewandet, und sie hielten die vorgeschriebenen paar Zoll Abstand, und sie schrien auch nicht, sondern trugen ihre Bitten flüsternd vor. Aber ist es ein Wunder, dass ich Gelegenheit brauchte, allein zu sein – zur Beiz, zur Jagd, zum Reiten? Manchmal fühlte ich mich wie ein Amboss, zu dem alle kamen, um ihre Wünsche zu schmieden, und mir dröhnte der Kopf.
In diesem Zusammenhang gab es noch eine Konferenz, über die ich im Bilde sein und an der ich zumindest gelegentlich teilnehmen musste: den so genannten Rat vom Grünen Tisch des Lord Haushofmeisters. Die Bediensteten des Haushofmeisters waren zuständig für alle leiblichen Annehmlichkeiten bei Hofe. Er führte die Aufsicht über rund fünfundzwanzig Abteilungen wie Backhaus und Speisekammern, Küchen und Wäscherei, die alle ihr eigenes Personal hatten. Die Unterteilung zwischen ihnen war altehrwürdig und infolgedessen völlig unlogisch. So war etwa der »Hühnerhof« für die Beschaffung von Lammfleisch verantwortlich, obgleich die Zuständigkeit für Fleisch, auch für Hammelfleisch, bei der »Vorratsmeisterei« lag. Der Haushofmeister beaufsichtigte (falls dies der richtige Ausdruck ist, denn mir kamen sie ganz und gar unbeaufsichtigt vor) zweihundertzwanzig Bedienstete. (In Friedenszeiten gebot er über einen Etat wie niemand sonst im ganzen Reich.) Dennoch unternahm er es allwöchentlich, mit seinem Schatzmeister und seinem Buchprüfer Rechnungsbücher und Inventarlisten durchzusehen, und dabei saßen sie an einem Tisch, der mit einem grünen Friestuch bedeckt war – daher der informelle Name »Rat vom Grünen Tisch«.
Ich nahm dreimal an diesen Sitzungen teil. Eine widmete sich dem folgenden Problem: Ließ sich der beste Weizen nun in Kent oder in Dorset beschaffen? (Eine interessante Frage, zweifellos, aber doch wohl keine, die die Anwesenheit des Königs erfordert hätte.) In der zweiten entwickelte man einen verzwickten Plan zum Einsammeln und Wiederverwerten von Kerzenstummeln. Bei der dritten wurde erörtert, wie Gänsefedern am besten zu nutzen seien. (Anscheinend gab es nach jedem Schlossbankett besagte Federn im Überfluss.) Danach ging ich nicht mehr hin, sondern schickte stattdessen Wolsey.
Aber
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