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Ich, Heinrich VIII.

Ich, Heinrich VIII.

Titel: Ich, Heinrich VIII. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret George
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akzeptierten.
    Aber er sündigte nicht. Er benahm sich gut, als befolge er einen privaten Kodex mit dem Titel »Die Ehre eines Prinzen«. Er war nicht nur jung und schön und reich, sondern ging auch fünfmal täglich zum Gottesdienst, hatte sein Jugendversprechen, die spanische Prinzessin zu ehelichen, wahr gemacht, und er hatte den düsteren Hof seines Vaters in ein glitzerndes Gebäude von Weisheit, Witz und Begabung verwandelt. Die Menschen warteten gespannt darauf, was für eine Krönung er ihnen bieten werde. Und er enttäuschte sie nicht.
    Heinrich VIII.:
    Ich beschloss, dass unsere Krönung am Mittsommertag stattfinden sollte. Am Mittsommertag des Jahres 1509. Noch heute vermag ich diese Worte nicht niederzuschreiben, ohne dass sich aus dem trockenen Laub der Erinnerungen eines alten Mannes der Duft eines grünen Sommers erhebt. Eines Hochsommers, der fast vierzig Jahre zurückliegt und in einigen wenigen welken Herzen doch noch erhalten ist wie gepresste Blüten …
    Aber an jenem Tag waren es tausende und abertausende, die sahen, wie der junge Heinrich und seine Katharina durch die gewundenen Londoner Straßen zur Krönung in die Westminster Abbey zogen. Kreischend reckten sie uns die Hände entgegen. Ich sehe sie noch vor mir, diese Gesichter, gesund (vielleicht ein wenig gerötet von dem Wein, den ich der Bevölkerung hatte ausschenken lassen?) und voller Freude. Sie wollten mich, und ich wollte sie, und beide glaubten wir in diesem Augenblick, wir würden ewig leben.
    Als wir die Abbey erreicht hatten, stieg ich vom Pferd, derweil Katharinas Hofdamen ihr aus der Sänfte halfen. Sie trug das Gewand einer jungfräulichen Braut, ganz in Weiß, und ihr goldbraunes Haar fiel lose herab. Ich streckte die Hand aus und nahm die ihre. Vor uns lag ein großer, weißer Teppich, den wir überqueren mussten, um in die Kirche zu gelangen. Tausend Menschen säumten unseren Weg.
    Plötzlich erschien mir das alles sehr vertraut. Schon einmal hatte ich Katharina über einen solchen Teppich und in eine große Kirche geführt. Einen Augenblick lang fröstelte mich, als sei ein Rabe über die Sonne geflogen. Dann war es vorbei, und ich wandte mich ihr zu und wisperte: »Erinnerst du dich, wie du schon einmal bei einem Staatsakt an meiner Seite gingst?«
    Sie sah zu mir auf (damals hatte sie zu mir herübergeschaut. »Ja, mein Lord. Ihr wart erst zehn. Aber schon damals spürte ich, Ihr wart … Ihr musstet …«
    Sie verstummte, denn wir waren vor dem Portal der Abbey angelangt, und Erzbischof Warham erwartete uns. In diesem Augenblick erhob sich hinter uns ein mächtiger Aufschrei. Ich drehte mich um und sah, wie die Menschen sich auf den weißen Teppich stürzten und mit Messern und Scheren darüber herfielen. Sie wollten Stücke herausschneiden und zur Erinnerung an den Tag, da König Heinrich VIII . gekrönt worden war, verwahren und an Kinder und Kindeskinder weitergeben. (Wo mögen diese Teppichstücke jetzt wohl sein, frage ich mich.) Es war ein alter Brauch, so erfuhr ich. Dennoch, der Anblick all dieser blitzenden Messer …
    In der Kirche schritten Katharina und ich langsam durch das weite Mittelschiff; zu beiden Seiten hatte man Plattformen mit Sitzen aufgebaut, wo die großen Lords und die Adelsfamilien an der Zeremonie teilnehmen konnten. Beim Hochaltar angekommen, trennten wir uns, und ich begab mich zu dem uralten, narbenbedeckten Holzthron, der seit Jahrhunderten bei der Krönung benutzt wurde. Ich weiß noch, dass mir durch den Kopf ging, wie grob geschnitzt er war, wie rau das Holz. Dann nahm ich darauf Platz, und er schmiegte sich an mich, als sei er für mich gemacht.
    Der Erzbischof wandte sich der Menge zu und fragte mit klarer, weithin hallender Stimme, ob man mich zum König haben wolle. Dreimal hintereinander antworteten die Menschen »Aye«, das letzte Mal so laut, dass es vom hohen Deckengewölbe widerhallte. Ich fragte mich (es ist seltsam, was für Gedanken einem in solchen Augenblicken in den Sinn kommen), ob es wohl bis zu meiner Familie durchdringen mochte, die in ihrer privaten Kapelle hinter dem Hochaltar schlummerte – zu Vater und Mutter, zu meinen verstorbenen Geschwistern Elisabeth und Edmund und dem letzten Baby, die alle dort bestattet lagen.
    Doch heute war der Tag der Lebenden. Warham salbte mich, und das Öl war warm und duftete angenehm. Und nachdem ich meinen Schwur getan, setzte er mir die schwere, juwelenbesetzte Krone auf den Kopf, und ich betete, dass ich mich ihrer würdig

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