Ich Ich Ich - wir inszenieren uns zu Tode
augenblicklich die Schleusen zu meiner Gefühlswelt. Das schafft sonst nur die Musik. Aber die Wale singen ja schließlich auch …« Ein Bruder im Geiste ist Boris Becker, der seine Fans unter anderem bei Twitter ständig auf dem Laufenden hält. Besonders gern kommentiert er live das Fernsehprogramm (Rechtschreibung im Original): »Ich sehe gerade andrea sawatzki in 2verschiedenen gleichzeitig …« (13. Oktober 2011); »Habe gerade nochmal bundesliga zusammen fassung gesehen! Klar, bayern meisterhaft aber dortmund ist wieder dran an der spitze …« (17. Oktober 2011); »Watching xfactor UK« (22. Oktober 2011).
Er und all die anderen, die um unsere Beachtung buhlen, tragen zur »Tyrannei der Intimität« bei, vor der der Soziologe Richard Sennett bereits 1977 gewarnt hat. Nur wenige Ausnahmepersönlichkeiten sind frei davon und können loslassen wie Victor von Bülow alias Loriot. Der große Humorist hörte bereits Anfang der Achtzigerjahre mit dem Fernsehen auf und machte sich auch sonst rar. Der Bild am Sonntag teilte er einige Monate vor seinem Tod trocken mit: »Meine öffentlichen Auftritte werden sich auf meine Lieblingsrestaurants beschränken!« Trotzdem wird er unvergessen bleiben.
Ich, ich, ich: Warum Prominenz für Prominente so reizvoll ist
Die meisten Menschen leiden an einem chronischen Mangel an Beachtung. Dem Durchschnittsbürger geht es so: Im Büro wissen weder der Vorgesetzte noch die Kollegen seine Leistung zu würdigen. Die Ehefrau interessiert sich nicht dafür, was bei ihm auf der Arbeit los ist, sondern will lieber über ihre eigenen Probleme reden. Versucht er, seine halbwüchsigen Kinder zu belehren, erntet er nur Gähnen. Und selbst die alten Kumpels winken bei den seltenen Treffen in der Stammkneipe ab, wenn er anfängt, über den Weltenlauf zu räsonieren. Der Gassenhauer »Kein Schwein ruft mich an, keine Sau interessiert sich für mich« gibt seine Lage und Stimmung ziemlich genau wieder.
Ganz anders geht es dem Promi: Ihm hört man zu. Die Leute reißen sich um ihn. Jede seiner Lebensäußerungen stößt auf Interesse. Er muss gar nichts Besonderes tun, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, es reicht, wenn er irgendwo auftaucht. Im Restaurant drehen sich die anderen Gäste verstohlen nach ihm um; auf der Straße wird er von Fans angesprochen und um ein Autogramm gebeten; und selbst im Urlaub in fernen Ländern erkennt man ihn. Setzt er sich lange genug in Szene, wird seine Prominenz irgendwann zum sich selbst verstärkenden Selbstläufer: Je häufiger er in den Medien auftaucht, desto begehrter wird er. Denn: »Wer reich an Beachtung und wer bekannt für diesen Reichtum ist, findet schon deshalb Beachtung, weil es sich herumgesprochen hat, dass er oder sie ein Großverdiener an Aufmerksamkeit ist«, schreibt Georg Franck. »Kaum etwas scheint das zusehende und zuhörende Publikum mehr zu faszinieren als der zur Schau gestellte Reichtum an Beachtung.« 11
Zwar erzählen Promis gern, dass ihnen der ganze Rummel um ihre Person zu viel werde, aber das ist in etwa so glaubwürdig wie die Klage von kleinen Kindern über zu viele Weihnachtsgeschenke. Die allermeisten Berühmtheiten können nicht genug Aufmerksamkeit bekommen, sie ist der Quell ihres Glücks und die Grundlage ihres Geschäfts. Ihr Status verleiht ihnen großen Einfluss, sie sind – anders als Top-Manager, Staatsmänner oder Kirchenfürsten – ganz ohne Seilschaften und Apparat im Rücken mächtig. Bei vielen entsteht mit der Zeit der Eindruck, sie würden wie glückliche Kinder um ihrer selbst willen geliebt. Da täuschen sie sich zwar, weil es im Celebrity Business nicht um echte Menschen, sondern um Kunstfiguren geht, aber dafür bringt ihr Status ganz handfeste Vorteile. Der Showmaster Rudi Carrell erzählte in erfreulicher Offenheit davon: »Einer der größten Reize ist natürlich, dass man im privaten Bereich ungemeine Vorteile hat. Mit Behörden oder auch in Warenhäusern. Ich werde immer freundlich bedient. Ein weiterer Vorteil ist, dass man zu Veranstaltungen eingeladen wird, wo ein normaler Bürger nie eingeladen werden würde. Bei Preisverleihungen sitze ich hier neben Johannes Heesters, dort neben irgendjemand anderem, der oder die berühmt ist. […] Man darf bei Fußballspielen auf der Ehrentribüne sitzen, man bekommt selber Preise verliehen und man darf einfach tolle Sachen erleben, von denen andere nur träumen.« 12
Nicht zuletzt ist Bekanntheit sehr lukrativ, mit ihr lässt sich viel mehr
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