Ich kann dich sehen: Thriller (German Edition)
sagen?
Wut und Selbsthass durchschnitten sie wie eine kalte Klinge. »Ich hatte Sex mit ihm. Ich habe zugelassen, dass er mich berührt. Ich habe ihm meinen Sohn vorgestellt. Herrgott, er hat bei mir zu Hause geschlafen, als mein Sohn da war. Was für eine Mutter ist dazu fähig?«
»Sie wussten es nicht.«
Sie biss die Zähne zusammen, Wut kochte in ihr hoch. »Das ist keine Entschuldigung. Ich hätte es wissen müssen. Ich hätte es sehen müssen. Ich habe lange genug in seine verdammten Augen gesehen. Was stimmt nicht mit mir? Ich habe alles kaputt gemacht. Meine Ehe. Mein Geschäft. Meine Freundschaften. Ich habe es nicht verdient, Cameron zu behalten. Bei mir ist er nicht sicher.«
Rachel packte sie am Arm und hielt ihn fest. »Hören Sie, Liv. Es ist nicht Ihre Schuld. Sie haben nichts falsch gemacht.«
»Aber es ist immer noch nichts in Ordnung.«
»Ja, ist es, aber das ist nicht Ihre Schuld. Ich habe Ihnen das auch nicht erzählt, damit Sie sich fertigmachen.« Sie rüttelte Liv, als wollte sie ihre Aufmerksamkeit wecken. »Ich habe Sie beobachtet, Sie sind eine Kämpfernatur. Sie dürfen nicht zulassen, dass Sie sich seinetwegen schwach fühlen. Wissen ist Macht. Nutzen Sie es, um sich und Ihre Familie zu schützen. Und lassen Sie mich meinen Job tun.«
Liv schloss die Augen, ballte die Fäuste und atmete durch. Ja, Rachel hatte recht. Sich selbst zu beschuldigen, brachte nichts und half ihr nicht, auf den Beinen zu bleiben. Es würde ihr auch Cameron nicht zurückbringen oder den Verrückten von ihrem Vater fernhalten. Sie öffnete die Augen. »Und, was haben Sie jetzt mit ihm vor?«
Am anderen Ende des Parkplatzes waren die Scheinwerfer eines Wagens zu sehen, der langsam die Straße um das Krankenhaus abfuhr. Rachel hob den Kopf. »Das ist der Streifenwagen.« Als er auf den Parkplatz und vorne an den Fenstern des Hospizes vorbeifuhr, nahm Rachel wieder ihre offizielle Haltung an.
»Morgen habe ich die Ermächtigung, Daniels Handschrift einzuholen und sie zur Prüfung nach Sydney zu schicken. Dort versuchen sie auch die Fingerabdrücke von den Drohbriefen zu kriegen. Aber ich warne Sie, die Gerichtsmedizin braucht Zeit. Mindestens ein paar Wochen.«
»Wochen?« Plötzlich fühlte sich die Nachtluft so kalt an, dass sie die Arme um sich schlang.
»Ich habe extra Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt, die jetzt daran arbeiten. Hier geht es nicht mehr nur um eine Anklage wegen Stalking. Er sieht mindestens einer Anklage wegen schwerer Körperverletzung entgegen.«
Das klang ernst. Absichtlich.
»Sie werden ihn also nicht gleich morgen verhaften, nicht wahr?«
»Nein. So schnell geht das nicht. Für eine Verhaftung brauchen wir erst handfeste Beweise.« Rachel winkte den Streifenwagen zu sich.
Die Sache war also nicht über Nacht vorbei. So schnell würde sie Cameron nicht wieder zurückbekommen. »Und was soll ich in der Zwischenzeit tun? Mich im Reihenhaus einsperren und Däumchen drehen?«
»Sie leben Ihr Leben und gehen ihm aus dem Weg.«
40
Mit quietschenden Reifen düste Liv vom Krankenhausparkplatz in den beginnenden abendlichen Verkehr hinaus. Daniel war es also. Er hatte das alles getan! Und sie hatte geglaubt, dass er ihr helfen wollte, dabei hatte er es nur schlimmer gemacht. Und noch auf sie eingetreten, als sie schon am Boden lag. Vielleicht hatte er ja genau das bezweckt – dann würde sie nicht zögern, nach der Hand zu greifen, die er ihr reichte. Daniel, du Schwein.
Sie konzentrierte sich auf die Lichtkegel ihrer Scheinwerfer und die Rastlosigkeit, die in ihr aufzusteigen begann. Daniel hatte nicht sie getreten, sondern Menschen, die sie liebte. Er hatte ihre Freunde verletzt, sie gezwungen, Cameron wegzuschicken, und ihren Vater total erschreckt. Und er hatte sie dazu gebracht, nach mehr als seiner Hand zu greifen. »Verpiss dich.«
Ihr Handy summte, sie hatte eine neue Nachricht bekommen. Liv sah zu ihrer Tasche, die auf dem Beifahrersitz lag; eine Faust schloss sich um ihre Brust. Sie nahm eine Hand vom Steuer, kramte in der Tasche herum und wäre fast ins Schleudern geraten. Verdammt!
Vielleicht war es Cameron. Es war spät. Als sie nach der Schule mit ihm gesprochen hatte, war er außer sich gewesen. An einer roten Ampel hielt sie an; Ärger stieg in ihr auf, als sie die Nachricht las.
Bin auf dem Rückweg. Können wir reden? Vielleicht essen & reden?? Ich könnte unterwegs was mitnehmen. Indisch? Thai? Pizza? Burger? D
Jemand hupte hinter ihr. Die Ampel war
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