Ich kann dich sehen: Thriller (German Edition)
Jede Menge Möglichkeiten. Vielleicht sollte sie Kelly anrufen und ihr sagen, sie sollte die Tür nicht öffnen. Und sie zu Tode erschrecken, wo sie gerade andere Sorgen hatte? Nicht jetzt. Stattdessen drückte sie aufs Gaspedal.
Das Parkhaus war nachts ein gefährlicher Ort – sie musste sich nur ihre Verletzungen ansehen. Aber sie wollte sich ja nicht länger dort aufhalten. Sie wollte nur nachsehen, ob sein Wagen dort stand. Kontrollieren, ob er Verstecken spielte oder ob er gar nicht erst erschienen war.
Sie sah in die Dunkelheit, auf die riesige Fläche im Erdgeschoss, während sie der Straße um das Gebäude folgte. Es war wie ein Déjà-vu. Zementplatten an Boden und Decke, schummriges, blinkendes Neonlicht, massive, dunkle Pfeiler. Sie sah sich schon in Stöckelschuhen über den Asphalt jagen und fürchtete, eine Faust ins Gesicht verpasst zu bekommen.
Sie zählte fünf Autos, die willkürlich herumstanden, als wäre der Parkplatz zuvor überfüllt gewesen. Auf der Büroseite parkten zwei große Autos. Aus der Entfernung konnte sie nicht erkennen, ob eines davon seines war. Oder ob er sogar im Wagen saß, sie beobachtete, während sie langsam vorbeifuhr und er überlegte, ob sie jetzt wohl genug Angst hatte.
Ja, Daniel. Sie hatte Angst. Angst davor, was er anderen Freunden antun könnte, und wütend darüber, was er bereits angerichtet hatte. Angst und Wut – sie waren schuld, dass sich alles in ihrem Kopf drehte, ihre Arme prickelten und ihre Beine nervös zuckten. Sollte sie nachsehen – oder einfach wieder wegfahren? Aber wohin? Wenn sie nach Hause fuhr, stand er vielleicht mit einer Pizza vor der Tür. Und wenn sie nicht nachsah, würde sie nicht erfahren, ob er hier war oder draußen jemandem folgte.
Sie steckte ihre Karte in den Automaten, die Schranke an der Einfahrt ging hoch. Weiter vorne verschluckte die große, schummrig dunkle Fläche das Licht ihrer Scheinwerfer und reduzierte es auf zwei kleine Kegel, die auf eine Parkfläche von der Größe eines halben Fußballfelds fielen. Während sie im Rückspiegel sah, wie die Schranke wieder herunterging, verpuffte ihr Ärger, und Vorsicht machte sich in ihr breit. Sie brauchte ihre Karte, wenn sie wieder raus wollte – jetzt gab es kein schnelles Entrinnen mehr. Sie verriegelte die Türen von innen und kontrollierte die Fenster. Pass auf, bleib wachsam, achte auf deine Umgebung. Das hatte Daniel ihr geraten. Es war kein schlechter Rat gewesen.
Sie sah sich um. Links von ihr befanden sich Ab- und Auffahrt, die Tür zum Treppenhaus lag an der Westseite, gegenüber schlängelte sich der Fußgängerweg. Die fünf Autos waren auf der Parkfläche verteilt, also fuhr sie eine Schleife um die Pfeiler und an den ersten drei vorbei. Sie waren alle leer. Dann richtete sie ihren Blick auf die beiden großen Autos auf der anderen Seite und fuhr nahe genug heran, sodass das Licht ihrer Scheinwerfer sie beleuchtete. Beides waren Vierradantriebe. Einer davon konnte seiner sein.
Sie blieb stehen, sah sich den einen genau an und überlegte, ob er so aussah wie der, der in seiner Einfahrt gestanden hatte. Sie sah weder hinter sich noch zu den schattigen Pfeilern auf den Seiten.
Sah ihn nicht, bis er an ihr Fenster klopfte.
41
In der Stille ihres Wagens wirkte das Geräusch wie ein Donnerschlag. Sie wandte sich um und erkannte Daniels Gesicht nur Zentimeter von ihrem entfernt auf der anderen Seite der Glasscheibe. Ihre Kopfhaut fing vor Angst zu kribbeln an.
Wo kam er her? Wie lange hatte er sie schon beobachtet? Er wirkte besorgt und erstaunt. Nicht wie ein Mann, dem man auf die Schliche gekommen war. Andrerseits hatte er sie über eine Woche an der Nase herumgeführt. Er warf einen Blick über die Schulter in die Tiefen des Parkhauses. Kontrollierte er, ob sie alleine waren? Er bedeutete ihr, das Fenster herunterzulassen.
Nein, auf keinen Fall würde sie das tun. Sie warf einen Blick auf seine andere Hand, seine Beine, den Asphalt unter seinen Füßen. Er hatte gesagt, er müsste noch etwas holen. Trug er eine Waffe bei sich? Ein Werkzeug, einen Stock, eine Pistole? Sie sah nichts, aber er hatte Taschen in seiner Jacke und ihr in der Dunkelheit aufgelauert.
»Was ist los?«, fragte er dumpf durch die Scheibe. Er legte eine Hand auf das Autodach, beugte sich herab und sah hinein.
Sie wünschte, sie könnte sich bewegen, eine Entscheidung treffen oder etwas tun, statt wie das Kaninchen vor der Schlange dazusitzen. Sein Blick glitt über ihre Schulter zum
Weitere Kostenlose Bücher